SCHLUSSBETRACHTUNGEN
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Aber wichtiger als das italienische Problem ist uns hier das deut-
sche Problem. Es genügt nicht zu wiederholen: beiderseits kommt
beides vor. Das Besondere bleibt, daß,es die Zeit unserer Hochblüte
ist, die sich durchsetzt zeigt von Strebungen, die mit der klassischen
italienischen Renaissance parallel gehn. Aber das heißt doch nicht,
daß sich da ein fremder Keil hineingedrängt hat. Was italienisch
aussieht, hat im wesentlichen seine Wurzeln im heimatlichen Erd-
reich. Man hat von den Italienern gelernt, aber man hätte die frem-
den Vorbilder nicht aufgesucht, ohne daß ein verwandter Drang
im eignen Busen vorhanden gewesen wäre.
„Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,
die Sonne könnt’ es nie erblicken —“
Auf der ganzen Linie konnte man sich nicht begegnen. Es bleiben
immerhin Punkte, wo man instinktiv zurückhält. Gestalt und Um-
riß — das wird ein wichtiges Thema auch für die deutsche Kunst,
nicht aber die gegliederte Ganzheit. Gesetzmäßige Ordnung und
Reliefauffassung, Sachklarheit und Schaubarkeit sind Dinge, zu
denen die deutsche Renaissance alsbald Stellung genommen hat,
während das Gefühl für lässige Spannung, für das Einfache und das
Natürlich-Große nur langsam Eingang findet. An vielen Beispielen
ist sichtbar geworden, wie das Italienische für den Norden nur in
einer Brechung möglich war und wie es sich hier dauernd mit sei-
nem Gegensatz verträgt: das Begrenzte mit dem Unbegrenzten, das
Schaubare mit dem Unschaubaren usw. Es leuchtet ein, daß dann
auch die „italienischen“ Werte, auf eine andere Folie gesetzt, not-
wendig eine andere Wirkung bekommen mußten. Die gesetzmäßige
Ordnung, die in Italien noch als etwas Natürliches wirken kann,
wird bei uns mehr den Charakter des Gewollten annehmen und
unter Umständen als Ausdruck hohen sittlichen Ernstes erscheinen,
und die ganz auskristallisierte plastische Form muß auf dem Grunde
des Malerisch-Unklaren sich mit einer Stimmung des Erlesenen und
Seltenen verbinden, die sie in Italien nicht hat. Ja, man darf weiter-
gehn: es ist gerade der Gegensatz, der fortdauernd weiterwirkende
Gegensatz des „Unklassischen“, der für uns „Klassik“ als etwas Le-
bendiges erst möglich macht.
Wir haben seither noch andere Synthesen von Süden und Norden
erlebt und es werden neue Klassizismen auch künftig sich bilden.
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Aber wichtiger als das italienische Problem ist uns hier das deut-
sche Problem. Es genügt nicht zu wiederholen: beiderseits kommt
beides vor. Das Besondere bleibt, daß,es die Zeit unserer Hochblüte
ist, die sich durchsetzt zeigt von Strebungen, die mit der klassischen
italienischen Renaissance parallel gehn. Aber das heißt doch nicht,
daß sich da ein fremder Keil hineingedrängt hat. Was italienisch
aussieht, hat im wesentlichen seine Wurzeln im heimatlichen Erd-
reich. Man hat von den Italienern gelernt, aber man hätte die frem-
den Vorbilder nicht aufgesucht, ohne daß ein verwandter Drang
im eignen Busen vorhanden gewesen wäre.
„Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,
die Sonne könnt’ es nie erblicken —“
Auf der ganzen Linie konnte man sich nicht begegnen. Es bleiben
immerhin Punkte, wo man instinktiv zurückhält. Gestalt und Um-
riß — das wird ein wichtiges Thema auch für die deutsche Kunst,
nicht aber die gegliederte Ganzheit. Gesetzmäßige Ordnung und
Reliefauffassung, Sachklarheit und Schaubarkeit sind Dinge, zu
denen die deutsche Renaissance alsbald Stellung genommen hat,
während das Gefühl für lässige Spannung, für das Einfache und das
Natürlich-Große nur langsam Eingang findet. An vielen Beispielen
ist sichtbar geworden, wie das Italienische für den Norden nur in
einer Brechung möglich war und wie es sich hier dauernd mit sei-
nem Gegensatz verträgt: das Begrenzte mit dem Unbegrenzten, das
Schaubare mit dem Unschaubaren usw. Es leuchtet ein, daß dann
auch die „italienischen“ Werte, auf eine andere Folie gesetzt, not-
wendig eine andere Wirkung bekommen mußten. Die gesetzmäßige
Ordnung, die in Italien noch als etwas Natürliches wirken kann,
wird bei uns mehr den Charakter des Gewollten annehmen und
unter Umständen als Ausdruck hohen sittlichen Ernstes erscheinen,
und die ganz auskristallisierte plastische Form muß auf dem Grunde
des Malerisch-Unklaren sich mit einer Stimmung des Erlesenen und
Seltenen verbinden, die sie in Italien nicht hat. Ja, man darf weiter-
gehn: es ist gerade der Gegensatz, der fortdauernd weiterwirkende
Gegensatz des „Unklassischen“, der für uns „Klassik“ als etwas Le-
bendiges erst möglich macht.
Wir haben seither noch andere Synthesen von Süden und Norden
erlebt und es werden neue Klassizismen auch künftig sich bilden.