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Wölfflin, Heinrich
Gedanken zur Kunstgeschichte: Gedrucktes und Ungedrucktes — Basel, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.27251#0149
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Meine persönlichen Beziehungen zu Jacob Burckhardt beruhen wesentlich dar-
auf, daß ich als sein Nachfolger auf dem Kunstgeschichtlichen Lehrstuhl 1893
nach Basel berufen wurde und während fünf Jahren noch wie alle, denen er sein
Vertrauen geschenkt hatte, über den unbeschränkten Zutritt bei ihm verfügen
konnte. Hätte man doch diese Möglichkeit besser ausgenützt! Seine Gespräche
besaßen einen so seltenen Reiz und Gehalt, daß der Ruf nach einem «Ecker-
mann» schon damals da und dort im Geheimen laut wurde, allein die Über-
zeugung, daß hier wirklich ein «Goethe» gelebt hat, kam doch erst später.

Die Berufung nach Basel verdankte ich dem guten Eindruck, den meine
Schrift über «Renaissance und Barock» auf Burckhardt gemacht hatte. «Bleiben
Sie einfach», sagte er mir, und das war in seinem Mund kein kleines Lob. Die
Schrift verleugnet nicht ihre Abhängigkeit von Burckhardts Buch über die
Architektur der Renaissance in Italien. Es war seine sachlich-systematische Be-
handlung, die mir wegweisend war und für die es damals wirklich kein besseres
Muster gab. Im übrigen war mir freilich schon bei diesem Anlaß aufgefallen,
wie Burckhardt allen allgemeinen Bestimmungen auswich. Man sucht umsonst
nach einer Definierung dessen, was nun Renaissancestil sei, geschweige, daß er
sich auf eine Erklärung des Italienischen an sich eingelassen hätte. Auch im
Cicerone ist es nicht anders gehalten. Vielleicht hängt damit die besondere
Kraft der Emphndung für das Einzelwerk zusammen, die ihm bis ins hohe
Alter verblieben ist und die nicht nur dem geformten Kunstwerk galt, sondern
auch vor der Natur lebendig war.

Der Gedanke, eine Biographie Burckhardts zu schreiben, ist mir nie gekom-
men. Daß ich zum 100. Geburtstag aus meinen Erinnerungen etwas zusammen-
stellte, was dann in der Zeitschrift für bildende Kunst 1918 erschien, geht auf
die Anregung zurück, die ich von den (weit ausführlicheren) Mitteilungen des
Basler Antistes A. v. Salis erhielt. Ernsthafter durchgeführt ist der Versuch,
dem Wesen Burckhardts, wenigstens unter einem bestimmten Gesichtspunkt,
näher zu kommen, in der Berliner Akademierede von 1930 (Festrede am Leib-
niztag). Der Titel lautete: Jacob Burckhardt und die systematische Kunst-
geschichte. Die Stimmung für Burckhardt war in der Berliner Akademie damals
nur halb günstig. Man wollte seine griechische Kulturgeschichte nicht gelten
lassen. «Diese Griechen hat es nie gegeben», hatte mir schon vor Jahren bei
meinem Antrittsbesuch Mommsen gesagt, und Wilamowitz, in jenem Augen-

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