GRUNDLAGEN UND ANFÄNGE
59
gebracht. Auch wo die Gesetze der linearen Perspektive noch nicht begriffen sind,
kommt im Norden von nun an doch ein neues Gefühl für das Dreidimensionale zum
Ausdruck.
Am stärksten spürt man das in ein paar großen Landschaften, die Dürer damals an
der Brennerstraße aufgenommen hat. Das Interessante für ihn ist nicht die phantastische
Silhouette dieser Berglandschaft, sondern wie die großen Massen gegeneinanderstehen
und was für Räume von ihnen beschlossen werden, das reizt ihn. In ihrem kubischen
Gehalt liegt die außerordentliche Qualität dieser Zeichnungen. Es sind nicht bloße An-
weisungen, wie man sich die Folge der Dinge im Gelände zu denken hat, sondern die
Vorstellung bekommt gleich das volle Bild des Raumes.
Wie groß dieses Trient gesehen ist! Gewiß würde Dürer selbst die einzelnen Häuser
und dergleichen später mit dem Ganzen ausgeglichen haben, aber ist es nicht ein
neuer Eindruck die große Luftmasse dieses Bildes? Wem unter allen deutschen Ma-
lern möchte man diesen beherrschenden Blick zutrauen? Und merkwürdig: die
Gegend ist auch ganz objektiv gesehen. Die gotischen Zeichner haben sonst die Nei-
gung, die Berge in die Höhe zu stilisieren. Dürer aber hat der Landschaft durchaus ihr
Maß von Horizontalismus gewahrt, wovon sich jeder noch an Ort und Stelle über-
zeugen kann.
Wer dann aber die Malerei im Original ansieht — sie liegt in Bremen (L. 109, W. 96) —
dem steht noch eine andere Überraschung bevor: die erstaunliche Schönheit der Farbe,
die durch Frische und Reichtum ganz modern anmutet1). Vom blaugrünen Schatten-
ton der Berge links geht es ins Rötlich-Violette hinüber. Farbiger Widerschein im
Wasser, da wo es dunkel ist. Die Bäume grünblau und gelblich. Weißblau bewegter
Himmel.
Irre ich nicht, so bezeichnen die neunziger. Jüahre den Anfang eines allgemeinen Empor-
gehens der Gesinnung in Deutschland. Die Züge, die wir im vorausgehenden als charak-
teristisch für die zweite Hälfte des Jahrhunderts hervorheben zu müssen glaubten,
würden nicht mehr stimmen für das Nürnberg, in das Dürer nach seiner Heimkehr ein-
trat. Schon der eine Veit Stoß sorgt dafür. Er kam 1496 nach langer Abwesenheit
aus dem Osten zurück und reißt alsbald weitere Kreise in den Wirbelwind seiner stür-
mischen Genialität hinein. Der bedächtige Adam Krafft erhebt sich zu dem Schwung
des Pergenstorfferschen Grabmales (Frauenkirche) und sucht sich selbst in der Lan-
dauerschen Krönung (Ägidienkirche) nochmals zu überbieten, und für die gehaltene
Monumentalität Peter Vischers haben wir in den Grabmälern der Dome von Magde-
burg (1495) und Breslau (1496) die frühen und bezeichnenden Proben. Das ist keine
philiströse und rührselige Gesellschaft, schon sieht man die Vorstellung einer höheren
Menschenwürde da und dort auftauchen, und der Horizont weitet sich ins Unmeßbare,
wenn man die intellektuellen Potenzen des gelehrten Nürnberg mit in Betracht
ziehen will.
In diesem Kreise entwickelt Dürer seit 1495 eine sehr lebhafte und mannigfaltige Tätig-
keit. Das eigentliche Malerwesen ist dabei nur von zweiter Bedeutung gegenüber den
59
gebracht. Auch wo die Gesetze der linearen Perspektive noch nicht begriffen sind,
kommt im Norden von nun an doch ein neues Gefühl für das Dreidimensionale zum
Ausdruck.
Am stärksten spürt man das in ein paar großen Landschaften, die Dürer damals an
der Brennerstraße aufgenommen hat. Das Interessante für ihn ist nicht die phantastische
Silhouette dieser Berglandschaft, sondern wie die großen Massen gegeneinanderstehen
und was für Räume von ihnen beschlossen werden, das reizt ihn. In ihrem kubischen
Gehalt liegt die außerordentliche Qualität dieser Zeichnungen. Es sind nicht bloße An-
weisungen, wie man sich die Folge der Dinge im Gelände zu denken hat, sondern die
Vorstellung bekommt gleich das volle Bild des Raumes.
Wie groß dieses Trient gesehen ist! Gewiß würde Dürer selbst die einzelnen Häuser
und dergleichen später mit dem Ganzen ausgeglichen haben, aber ist es nicht ein
neuer Eindruck die große Luftmasse dieses Bildes? Wem unter allen deutschen Ma-
lern möchte man diesen beherrschenden Blick zutrauen? Und merkwürdig: die
Gegend ist auch ganz objektiv gesehen. Die gotischen Zeichner haben sonst die Nei-
gung, die Berge in die Höhe zu stilisieren. Dürer aber hat der Landschaft durchaus ihr
Maß von Horizontalismus gewahrt, wovon sich jeder noch an Ort und Stelle über-
zeugen kann.
Wer dann aber die Malerei im Original ansieht — sie liegt in Bremen (L. 109, W. 96) —
dem steht noch eine andere Überraschung bevor: die erstaunliche Schönheit der Farbe,
die durch Frische und Reichtum ganz modern anmutet1). Vom blaugrünen Schatten-
ton der Berge links geht es ins Rötlich-Violette hinüber. Farbiger Widerschein im
Wasser, da wo es dunkel ist. Die Bäume grünblau und gelblich. Weißblau bewegter
Himmel.
Irre ich nicht, so bezeichnen die neunziger. Jüahre den Anfang eines allgemeinen Empor-
gehens der Gesinnung in Deutschland. Die Züge, die wir im vorausgehenden als charak-
teristisch für die zweite Hälfte des Jahrhunderts hervorheben zu müssen glaubten,
würden nicht mehr stimmen für das Nürnberg, in das Dürer nach seiner Heimkehr ein-
trat. Schon der eine Veit Stoß sorgt dafür. Er kam 1496 nach langer Abwesenheit
aus dem Osten zurück und reißt alsbald weitere Kreise in den Wirbelwind seiner stür-
mischen Genialität hinein. Der bedächtige Adam Krafft erhebt sich zu dem Schwung
des Pergenstorfferschen Grabmales (Frauenkirche) und sucht sich selbst in der Lan-
dauerschen Krönung (Ägidienkirche) nochmals zu überbieten, und für die gehaltene
Monumentalität Peter Vischers haben wir in den Grabmälern der Dome von Magde-
burg (1495) und Breslau (1496) die frühen und bezeichnenden Proben. Das ist keine
philiströse und rührselige Gesellschaft, schon sieht man die Vorstellung einer höheren
Menschenwürde da und dort auftauchen, und der Horizont weitet sich ins Unmeßbare,
wenn man die intellektuellen Potenzen des gelehrten Nürnberg mit in Betracht
ziehen will.
In diesem Kreise entwickelt Dürer seit 1495 eine sehr lebhafte und mannigfaltige Tätig-
keit. Das eigentliche Malerwesen ist dabei nur von zweiter Bedeutung gegenüber den