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DIE GROSSE PASSION

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fehlt ihm, um populär zu sein, das Verweilende. Es fehlen eine Reihe von Situationen,
die dem Gefühl besonders nahestehen mußten und auch in den Passionsspielen breit
behandelt wurden: die Kreuzanheftung, die würfelnden Soldaten am Kreuz, die Dornen-
krönung, die Verhöre nach der Gefangennahme und dergleichen. Der junge Dürer
wollte offenbar nicht erzählen, seine Phantasie hing sich mehr an die große Einzelfigur
oder die kunstvoll komponierte Gruppe.
Das ändert sich. Um das Jahr 1504 zeichnet er eine neue Folge der Passion, die im
Stil und in der Gesinnung anders ist. Es ist die Folge, die wir als ,,grüne Passion“
kennen, zwölf Federzeichnungen auf grünem Papier mit weißgehöhten Lichtern (Al-
bertina, L. 477ff, W. 300ff). Für einzelne Bilder besitzen wir die Dürerschen Vorzeich-
nungen (L. 377 = W. 301, L. 409 = W. 299, L. 479 = W. 303, L. 482 = Wö. io)1)
und diese sind so viel besser, daß man die Echtheit der grünen Blätter bestritten hat3).
Meder hat aber mit guten Gründen die Originalität verteidigt, ohne die Schwächen zu
leugnenB).
Dürer wird jetzt mitteilsamer. Er gibt gerade die Szenen, die vorhin im Namen des
Publikums reklamiert wurden, und er ist dabei ausführlich und bringt nicht nur viel
Architektonisches, Hallen und Portale und Treppen, sondern auch viel Leute. Er zeichnet
jetzt beim Ecce homo das Gewirr der Juden und Soldaten auf der Gasse, und Christus
erscheint nur hoch oben als kleine Figur, und bei der Kreuzigung verschwinden die
Engel, dafür sieht man die Soldateska. Die Kreuztragung hat jetzt Zug und drängende
Bewegung; der lanzenhaltende Statist ist ersetzt durch eine Charakterfigur im alten
Sinne. (In der Geißelung von ,,1502“ auf der Veste Koburg ist der Übergang von der alten
Passion zu dieser neuen gut zu beobachten4).)
Dabei darf man sich aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Auffassung gesunken
ist. Es genügt, die Figur der Maria in den Geschichten zu verfolgen. Nirgends ist der
Ton hochgenommen, so daß der (seit Sandrart) traditionelle Ruhm dieser Folge doch
wohl einmal eine Abschwächung erfahren möchte.
Die wirklichen Fortschritte liegen in der Klärung der Zeichnung und der reicheren
Ansicht von Einzelfigur und Ganzem. Trotz dem Vielfigurigen ist die Komposition
schon leichter faßbar, der Raum schaubarer gemacht. Dürer beruhigt sich, er vermeidet
die gedrängte Linienfülle der älteren Kompositionen, er nimmt die Figuren auseinander,
gibt ihnen Luft und führt den Umriß in glatterem Strich. Die Motive werden klarer
durchgebildet, die alten Figuren aber überboten durch Reichtum, wobei für den ersten
Fall der Christus der Kreuztragung, für den zweiten der Rutenbinder der Geißelung
genannt sein möge.
Wie die Situationen im ganzen gestaltet sind, wird besser an einem andern Ort, im
Zusammenhang mit den späteren Passionen, beurteilt werden können.
Abschließend sei noch nur auf einen Holzschnitt, den Kalvarienberg B. 59, verwiesen,
der zeitlich zur ,,grünen Passion“ gehört und die Tendenz zur Darstellung eines viel-
köpfigen Geschehens sehr deutlich enthälts). Es ist dieselbe Bildstimmung, aus der das
Marienleben hervorgegangen ist.
 
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