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DIE KUNSTALBRECHTDÜRERS
stellen sich ein, und ungewöhnliche Lichterscheinungen sollen den Eindruck des Sa-
kralen unterstützen.
Für dieses Wachsen des Stils ist die Maria mit zwei krönenden Engeln von
1518 (B.39) schon ein bedeutendes Beispiel in der Art, wie die Falten sich zu größeren
Formen vereinfachen und das Thema der Draperie mit der Bewegung der Figur zu-
sammengebracht ist. Ein durchgehender Zug in der Figur, eine aufsteigende Bewe-
gung, die sich oben in den krönenden Engeln auseinanderlegt. In momentaner Ent-
rückung, als ob sie das Wunder der Krönung ahnte, blickt Maria ins Leere. Das Kind
ist unruhig und will sich bemerkbar machen, allein sie achtet es nicht und hält selbst-
vergessen einen Apfel in der Hand wie ein heiliges Symbol. Stimmungen dieser Art sind
eine Ausnahme beiDürer, und es ist kein Zweifel: ein Hans Baldung hat das verlorene
Staunen der jungen Mutter unmittelbarer zu geben gewußt (Holzschnitt der Anna
selbdritt an der Mauer). Aber auch sonst, bei aller Bewunderung für die Größe des
Stils, wird man den Eindruck nicht überwinden können, daß die Zeichnung gegen
früher an Wärme etwas verloren hat. Ein Holzzaun schließt die Bühne nach hinten
ab. Nicht mehr ein malerisch zierlicher Gartenwinkel wie ehemals, keine ringelnden
Ranken und keine zwitschernden Vögel: eine gerade durchlaufende Reihe von Pfählen
in gleichmäßigen Abständen. Die Zweige bringen die gewollte Horizontale als stark
ausgesprochene Gegenlinie ins Bild, und das ganze Gefüge als kleinteilige Form ist
offenbar nur des Kontrastes wegen da. An sich ist es eine harte trockene Wirklich-
keit, und die Kleinempfindung, mit der das gespaltene Holz gezeichnet ist, will nicht
recht passen zu der Konzeption der Figur. Für das Gewand ist eine der monumen-
talen Draperien des Helleraltares verwertet, eine Zeichnung, die damals im Bilde keine
Verwendung fand (Albertina, L. 512, W. 457). Merkwürdig genug, daß ein solcher
Austausch der Garderobe zwischen Stich und großem Gemälde jetzt möglich ist. Die
einheitliche Führung der Faltenzüge ist aber in der Vorlage noch nicht vorhanden.
Zu den Engeln existiert ein Entwurf in London (L. 265, W. 553), demgegenüber die
Stichausführung eine beträchtliche Steigerung der Kraft und der Klarheit der Be-
wegung bedeutet. Die Vorzeichnung zum Ganzen in letzter Redaktion in London
(L. 94, W. 541).
In anderer Wendung gibt ein gleichzeitiger Holzschnitt das Thema der Engel-
krönung (B. 101, 1518) volkstümlich vereinfacht, aber mit großem Pomp. Lang-
gewandete Engel treten von den Seiten mit Früchten und Musik heran, vorn tummelt
sich eine Schar von kleinen kindlichen Spielgesellen und beherrschend, zusammen-
fassend schwebt zu Häupten der Maria das Engelpaar mit der Krone, prachtvoll im
Rauschen des Fluges. Das wesentlich Neue der Wirkung liegt weniger im Schwarz-
weiß-Effekt oder der Fülle von Figuren als in der Ökonomie, die den Hauptrich-
tungen zugrunde liegt. Wie die Gegensätze der Vertikale und der Horizontale zu-
sammengebracht sind (die letztere in den Flugengeln), dafür gibt es ältere Beispiele
nicht. Das Gefält aber ist recht holzschnittmäßig bunt, ohne die große plastische Form
der Stiche«
DIE KUNSTALBRECHTDÜRERS
stellen sich ein, und ungewöhnliche Lichterscheinungen sollen den Eindruck des Sa-
kralen unterstützen.
Für dieses Wachsen des Stils ist die Maria mit zwei krönenden Engeln von
1518 (B.39) schon ein bedeutendes Beispiel in der Art, wie die Falten sich zu größeren
Formen vereinfachen und das Thema der Draperie mit der Bewegung der Figur zu-
sammengebracht ist. Ein durchgehender Zug in der Figur, eine aufsteigende Bewe-
gung, die sich oben in den krönenden Engeln auseinanderlegt. In momentaner Ent-
rückung, als ob sie das Wunder der Krönung ahnte, blickt Maria ins Leere. Das Kind
ist unruhig und will sich bemerkbar machen, allein sie achtet es nicht und hält selbst-
vergessen einen Apfel in der Hand wie ein heiliges Symbol. Stimmungen dieser Art sind
eine Ausnahme beiDürer, und es ist kein Zweifel: ein Hans Baldung hat das verlorene
Staunen der jungen Mutter unmittelbarer zu geben gewußt (Holzschnitt der Anna
selbdritt an der Mauer). Aber auch sonst, bei aller Bewunderung für die Größe des
Stils, wird man den Eindruck nicht überwinden können, daß die Zeichnung gegen
früher an Wärme etwas verloren hat. Ein Holzzaun schließt die Bühne nach hinten
ab. Nicht mehr ein malerisch zierlicher Gartenwinkel wie ehemals, keine ringelnden
Ranken und keine zwitschernden Vögel: eine gerade durchlaufende Reihe von Pfählen
in gleichmäßigen Abständen. Die Zweige bringen die gewollte Horizontale als stark
ausgesprochene Gegenlinie ins Bild, und das ganze Gefüge als kleinteilige Form ist
offenbar nur des Kontrastes wegen da. An sich ist es eine harte trockene Wirklich-
keit, und die Kleinempfindung, mit der das gespaltene Holz gezeichnet ist, will nicht
recht passen zu der Konzeption der Figur. Für das Gewand ist eine der monumen-
talen Draperien des Helleraltares verwertet, eine Zeichnung, die damals im Bilde keine
Verwendung fand (Albertina, L. 512, W. 457). Merkwürdig genug, daß ein solcher
Austausch der Garderobe zwischen Stich und großem Gemälde jetzt möglich ist. Die
einheitliche Führung der Faltenzüge ist aber in der Vorlage noch nicht vorhanden.
Zu den Engeln existiert ein Entwurf in London (L. 265, W. 553), demgegenüber die
Stichausführung eine beträchtliche Steigerung der Kraft und der Klarheit der Be-
wegung bedeutet. Die Vorzeichnung zum Ganzen in letzter Redaktion in London
(L. 94, W. 541).
In anderer Wendung gibt ein gleichzeitiger Holzschnitt das Thema der Engel-
krönung (B. 101, 1518) volkstümlich vereinfacht, aber mit großem Pomp. Lang-
gewandete Engel treten von den Seiten mit Früchten und Musik heran, vorn tummelt
sich eine Schar von kleinen kindlichen Spielgesellen und beherrschend, zusammen-
fassend schwebt zu Häupten der Maria das Engelpaar mit der Krone, prachtvoll im
Rauschen des Fluges. Das wesentlich Neue der Wirkung liegt weniger im Schwarz-
weiß-Effekt oder der Fülle von Figuren als in der Ökonomie, die den Hauptrich-
tungen zugrunde liegt. Wie die Gegensätze der Vertikale und der Horizontale zu-
sammengebracht sind (die letztere in den Flugengeln), dafür gibt es ältere Beispiele
nicht. Das Gefält aber ist recht holzschnittmäßig bunt, ohne die große plastische Form
der Stiche«