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DAS PROBLEM DER SCHÖNHEIT

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Sehnsucht danach habe schon
lange in ihm gelegen und nur
jetzt erst die Augen aufgetan.
Barbari aber sagte ihm nur Un-
vollständiges; er suchte Rat
bei Vitruv, er kombinierte auf
eigene Hand, zeitenweise mag
er geglaubt haben, das Geheim-
nis zu besitzen, aber die Idee der
Schönheit wandelte sich ihm un-
ter den Händen. Das Menschen-
paar von 1507 ist anders als das
von 1504, es kommt der Zwei-
fel, die Unsicherheit und schließ-
lich die Resignation: es ist nicht
möglich, die ganze Wahrheit zu
erlangen, das Höchste, was uns
erreichbar bleibt, ist, die For-
menharmonie einzelner Gestal-
ten der unendlich reichen Natur
zu erkennen. Unsere Schönheit
liegt imUmkreisdesWirklichen,
und die Spekulation über die
Idealform verführt ins Boden-
lose. Schon aus dem Jahre 1508
gibt es im Dresdner Skizzenbuch
(Ausgabe von Bruck, Taf. 79)
eine schwere, dicke Frau, deren
Bau auf arithmetische Verhält-
nisse abgezogen ist. Offenbar konnte Dürer gerade solchen Typen ein ästhetisches
Recht abzusprechen sich nicht entschließen.
Die Art der Proportionsbestimmung wechselt. Anfänglich sind es geometrische Kon-
struktionen mit Kreisen und Rechtecken, die sogar teilweise den Umriß der Figur er-
geben, dann — nach der großen Reise — fängt er an, mehr und mehr nur noch Distanzen
am Körper zu messen, im horizontalen und im vertikalen Sinn, wobei die formgebende
Linie zwischen den festgelegten Punkten dem freien Belieben überlassen bleibt. Das
Überzeugende, was einfache Zahlenverhältnisse haben können, verliert sich aber in
gleichem Maße, wie Dürer genauer wird und mit dem Wirklichen mehr Fühlung
sucht. Im Proportionswerk operiert er mit einer doppelten Methode, einmal mit ver-
schiedenen Bruchteilen der Gesamtlänge, und dann mit dem Einheitsmaß von x/6 dieser
Größe, gemäß dem Verfahren, das L. B. Alberti anwendete. Auf Grund dieser zwei

Dicke weibliche Figur. Dresden
 
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