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I. Das Lineare und das Malerische
Allgemeines
I. Linear (zeichnerisch, plastisch) und malerisch
Tastbild und Sehbild
Wenn man den Unterschied der Kunst Dürers und der Kunst Rem-
brandts auf einen allgemeinsten Ausdruck bringen will, so sagt
man, Dürer sei zeichnerisch und Rembrandt sei malerisch. Dabei ist man
sich bewußt, über das Persönliche hinaus einen Unterschied der Zeiten
charakterisiert zu haben. Die abendländische Malerei, die im 16. Jahrhun-
dert linear gewesen ist, hat sich im 17. Jahrhundert nach Seite des Male-
rischen im besonderen entwickelt. Auch wenn es nur einen Rembrandt gibt,
so hat doch eine einschneidende Umgewöhnung des Auges überall statt-
gefunden, und wer irgendein Interesse daran hat, sein Verhältnis zur Welt
des Sichtbaren zu klären, wird erst mit diesen zwei von Grund aus ver-
schiedenen Arten des Sehens sich auseinandersetzen müssen. Die malerische
Art ist die spätere und ohne die erste nicht wohl denkbar, aber sie ist nicht
die absolut höherstehende. Der lineare Stil hat Werte entwickelt, die der
malerische Stil nicht mehr besitzt und nicht mehr besitzen will. Es sind
zwei Weltanschauungen, anders gerichtet in ihrem Geschmack und ihrem
Interesse an der Welt und jede doch imstande, ein vollkommenes Bild des
Sichtbaren zu geben.
Obgleich in dem Phänomen des linearen Stils die Linie nur einen Teil
der Sache bedeutet und der Umriß von dem Körper, den er umschließt,
sich nicht trennen läßt, kann man doch die populäre Definition benutzen
und zum Anfang einmal sagen: Der zeichnerische Stil sieht in Linien, der
malerische in Massen. Linear sehen heißt dann, daß Sinn und Schönheit
der Dinge zunächst im Umriß gesucht wird — auch Binnenformen haben
ihren Umriß —, daß das Auge den Grenzen entlang geführt und auf ein
Abtasten der Ränder hingeleitet wird, während ein Sehen in Massen da
statthat, wo die Aufmerksamkeit sich von den Rändern zurückzieht, wo
der Umriß dem Auge als Blickbahn mehr oder weniger gleichgültig ge-
worden ist und die Dinge als Fleckenerscheinungen das Primäre des Ein-
drucks sind. Es ist dabei gleichgültig, ob solche Fleckenerscheinungen als
Farbe sprechen oder nur als Helligkeiten und Dunkelheiten.
Das bloße Vorhandensein von Licht und Schatten, auch wenn ihnen
eine bedeutende Rolle zugewiesen ist, entscheidet noch nicht über den
malerischen Charakter eines Bildes. Auch die zeichnerische Kunst hat es
mit Körpern und Raum zu tun und braucht die Lichter und die Schatten,
um den Eindruck des Plastischen zu gewinnen. Die Linie bleibt ihnen
 
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