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Woermann, Karl [Editor]
Die antiken Odyssee-Landschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom: in Farben-Steindruck — München, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.3256#0006
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ERSTER THEIL,

ENTDECKUNG UND GESCHICHTE DER BILDER.

Am nordwestlichen Abhänge des alten esquilinischen Hügels zu Rom führt die Via Graziosa,
von der Suhurra ansteigend, zur Basilica di Santa Maria Maggiorc empor, eine enge, von armen Leuten
bewohnte Strasse, deren ganzes Aeussere das vernachlässigte und abgelegene Quartier der Weltstadt
verräth. Die Häuser ihrer einen Seite sind mit dem Rücken an den ziemlich jäh ansteigenden Berg
gelehnt; und eines dieser Häuser (mit Nr. 68 bezeichnet), war es, welches durch seinen Einsturz im
Jahre 1847 den Anlass zur Auffindung der alten Wandgemälde gab, die uns beschäftigen. Das Grund-
stück mit dem eingestürzten Hause wurde alsbald von einem öffentlichen Wohlthätigkeitsausschuss des
päpstlichen Rom für den Spottpreis von fünfzig Scudi zu dem Zwecke angekauft, dort ein Armenhaus
zu errichten. Dieser Plan aber blieb unausgeführt bis zur Einsetzung der römischen Munizipalbehörde
im Jahre 1848, welche bald nach ihrer Konstituirung ihrem Architekten, dem Grafen Virginia Vcspignani,
den Auftrag gab, an der Stelle des eingestürzten Hauses ein neues zu bauen, in dem neun bis zehn
arme Familien Unterkommen finden konnten. Bei der Fundamentirung des Neubaues stiess man bald
auf Reste antiker Mauern, die nicht weiter beachtet wurden '), bis man am 7. April 1848 auf die Mauer C
unseres Planes (Taf. VII) stiess.' Diese Mauer bestand aus durch Bögen verbundenen Backsteinpfeilern,
zwischen denen die Flächen mit jenem Netzwerk aus Tuffwürfeln ausgefüllt waren, welches die Römer
opus reHculatum nannten. Sie war mit einem Kalkbewurf bekleidet gewesen, der an dem unteren Theile
erhalten und hier mit Freskogemälden geschmückt war. Der Architekt Hess die Arbeit sofort einstellen
und das päpstliche Ministerium, den Magistrat und den Archäologen P. E. Visconti benachrichtigen.
Mit der weiteren Ausgrabung des Fundes betraut, verfuhr Vcspignani mit der grossten Sorgfalt und
bald gelang es, die beiden ersten unserer Bilder (Taf. I u. II) so vom Schutte zu reinigen, dass sie an
Ort und Stelle, wo sie vorläufig geschützt wurden, in ihrer ganzen Ausdehnung betrachtet und gewürdigt
werden konnten. War man an die Entdeckung antiker Wandgemälde in Pompeji so gewöhnt, dass man
neue Funde als etwas Selbstverständliches hinnahm, so erregte die Blosslegung antiker Malereien auf
römischem Boden wegen ihrer Seltenheit sofort das grösste Interesse, und der Magistrat, als Eigenthümer
der Bilder, beschloss, sie losbrechen und in's städtische kapitolinische Museum bringen zu lassen. Mit
dem gefährlichen Experimente der Loslösung wurde ein Herr Pellegrino Succi beauftragt. Nachdem man
die Farben an bedenklichen Stellen (es wird nicht gesagt, durch welches Mittel) auf dem Kalkbewurfe
zu befestigen gesucht hatte, erfolgte die Abnahme der Bilder unter der Aufsicht des Direktors des
kapitolinischen Museums und gelang im Ganzen vortrefflich. Die Berichterstatter reden von einer Ueber-
tragung der Fresken auf Leinwand; aber von einer-solchen kann nur in uneigentlichem Sinne die Rede
sein, da der Stuck etwa zolldick losgebrochen und nur hinten mit Leinwand bekleidet ist, um die Brüche,
welche nicht ganz vermieden worden sind, zusammenzuhalten. Am 25. Mai 1848 waren diese ersten
beiden Bilder in ihrer jetzigen Gestalt hergestellt, blieben aber während der Unruhen des folgenden
Jahres im Hause SuccCs und wurden erst nach zurückgekehrter Ruhe, am 2. Juli 1849, in's kapitolinische
Museum gebracht.

Links von diesen Bildern (Plan: Mauer C, b u. c) fand man die Fläche eines dritten, aber ganz
zerstörten Gemäldes (C, a); dann stiess man auf den Winkel, welchen hier unsere Mauer C mit der
Mauer B unseres Grundrisses bildete. Auch diese Mauer war an ihrem unteren Theile mit offenbar
bemalt gewesenem Stucke bekleidet und hatte augenscheinlich eine weitere Folge der Bilderreihe ent-
halten, von der aber kein einziges mehr zu erkennen war. Durfte man also nach dieser Seite hin auf
weitere Funde von Gemälden nicht hoffen, so erschien es um so wahrscheinlicher, dass in der Ausdehnung

der Mauer C nach rechts eine Fortsetzung der Bilder sich finden würde. Das Grundstück der Stadt
reichte aber nach dieser Seite nicht weiter, als die bereits ausgegrabenen beiden Bilder, ja, der Eigen-
thümer des benachbarten Hauses machte der städtischen Behörde sogar den gemalten Pfeiler und ein
anstossendes Stück zur Rechten des zweiten Bildes streitig. Doch willigte er nach einigen Verhandlungen
in die weitere Nachforschung auf seinem Grundstücke ein.

Jetzt wurde der bekannte Architekt und römische Topograph L. Camna mit der Ausgrabung beauf-
tragt, welche am 19. September 1850 vollendet war. Es waren jene fünf und eine halbe ferneren Tafeln
zum Vorschein gekommen, mit denen der Fund abgeschlossen wurde. Von links nach rechts sich
aneinander anreihend, befanden sie sich in derselben Reihenfolge, in der die Tafeln unserer Nachbildungen
geordnet sind, neben den zuerst gefundenen Bildern an der Mauer C. An C, d befand sich also unsere
Tafel III, an C, e unsere Tafel IV, an C, f Tafel V; das Bild von C, g war leider so zerstört, dass eine
Nachbildung nicht thunlich schien; Tafel VI enthält daher das Bild von C, h und Tafel VII das nur
zur Hälfte erhaltene Bild von C, i unseres auf derselben Tafel abgebildeten Grundrisses. Bei diesem
letzten Bilde fiel es sofort auf, dass es da, wo es halbirt schien, glatt abgeschnitten war und die Mauer
an jener Stelle nicht mit einem Bruche aufhörte, sondern mit wohlgeglätteter Bewurffläche abgeschlossen
war. Es war klar, dass hier ein Durchgang gewesen, jenseit dessen die Mauer sich fortgesetzt haben
mochte. Weitere Reste derselben wurden jedoch nicht zu Tage gefördert. Die Ablösung der Bilder
und ihre „Uebertragung auf Leinwand" wurde abermals Herrn Suca überlassen, und nunmehr beschloss
die päpstliche Regierung, diese zuletzt ausgegrabenen Bilder, welche, wie die vorigen, grosses Aut-
sehen in der wissenschaftlichen Welt erregt hatten, von dem Eigenthümer des Hauses, der bis dahin auch
rechtlicher Eigenthümer der Bilder gewesen war, käuflich zu erwerben. Dieses geschah nach längeren
Unterhandlungen am io. August 1850 für den Preis von 1500 Scudi. Die päpstliche Regierung Hess
ihre Akquisition sofort in's Handelsministerium bringen und durch einen Signor Ettore Ciuli nach den
Vorschriften der Kommission für Alterthümer und schöne Künste reinigen und restauriren (Matranga
Cittä di Lamo, pag. 146). Sehr wichtig würde es sein, wenn wir genau erfahren könnten, wie weit diese
Reinigung und Restaurirung gegangen. Soweit indess meine Freunde und ich, Künstler und Forscher,
uns vor den Originalen haben überzeugen können, ist das Verfahren Ciu/fs ein durchaus korrektes und
diskretes gewesen. Dass heute manche Inschriften leserlich sind, welche die ersten Erklärer nicht gelesen
haben und manche Stellen deutlich erkennbar sind, welche die ersten Erklärer nicht erkannt haben, be-
weist keineswegs für willkürliches Hineinarbeiten; denn jene ersten Erklärer erzählen einstimmig und ent-
schuldigen etwaige Ungenauigkeiten damit, dass sie die Bilder nur erst im unterirdischen Halbdunkel und
beim matten Schimmer eines Wachsstöckchens untersucht haben. Gegen die Annahme willkürlicher Re-
staurationen spricht der Augenschein. Nur soviel ist klar, dass die Bilder einzeln losgebrochen sind und
zwar jedesmal in den schwarzen Streifen, die sich an die gemalten hochrothen Pilastera) zwischen den
einzelnen Bildern anlehnen. Innerhalb jener schwarzen Streifen sind sie dann je zu zweien wieder zu-
sammengesetzt worden, so dass sie jetzt mit den beiden zuerst aufgefundenen und ebenfalls aneinander-
gefügten Bildern im Ganzen vier grosse Tafeln ausmachen. Klar ist ferner, dass die Bilder bei der
Ablösung hie und da gebrochen sind; besonders das Kirkebild, Taf. V, zeigt im Originale recht bedeutende
Risse, die aber, wie auf den übrigen, ganz geschickt zusammengesetzt sind. Die Farben und demnach
auch die Gegenstände scheinen nirgends angetastet, sondern nur gereinigt zu sein, sodass wir^uns ohne
Argwohn an ihrer trotz mancher Verwischungen im Ganzen vortrefflichen Erhaltung erfreuen können 3).
 
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