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Woermann, Karl [Editor]
Die antiken Odyssee-Landschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom: in Farben-Steindruck — München, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.3256#0008
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ZWEITER THEIL,

BESCHREIBUNG UND ERKLÄRUNG.

ERSTER ABSCHNITT,

GESAMMTBETRACHTUNG.

Wir haben gesehen, dass die Auffindung- unserer Bilder bedeutendes Aufsehen in der wissenschaft-
lichen Welt erregte, dass die päpstliche Regierung Kosten und Mühen nicht scheute, dieselben an
würdiger Stelle den vatikanischen Sammlungen einzuverleiben, und dass ihre verhältnissmässig gute
Erhaltung, welche ihre Verbreitung in Farbendrucken ermöglichte, ihnen bis in die neueste Zeit eine
rege Theilnahme der Gelehrten erhalten hat. Ehe wir unsererseits .auf ihre Stellung in der Kunstgeschichte
und ihren künstlerischen Werth eingehen, müssen wir sie zunächst einer ruhigen Gesammt- und Einzel-
betrachtung unterziehen. Erst aus dem Resultate beider wird sich das nöthige Material zu einer unpar-
teiischen Würdigung gewinnen lassen; und zwar muss unsere erste Aufgabe natürlich sein, den Eindruck
des ganzen Zyklus, seine Eintheilung und die äussere Beziehung der Bilder zu einander kennen zu lernen
da wir bereits im vorigen Abschnitt gesehen haben, dass es sich nicht um zufällige Nebeneinanderstellung
einer Reihe von Bildern, sondern um die bewusst gleichmässige Ausschmückung eines wahrscheinlich in
prächtigem Räume friesartig rings entlanglaufenden Wandsockels gehandelt hat.

Der eminent dekorative Sinn der Alten bewahrte sie stets vor Zersplitterung und Auseinanderzerrung
des Gesammteindrucks in Fällen, wo es auf diesen zunächst ankam. So sehen wir auch hier, als äusserst
kräftiges und zwingendes Einigungsmittel, eine gleichmässige Reihe blendend hochrother gemalter Wand-
pilaster zwischen den einzelnen Bildern sich hinziehen. Ihr scharfer Farbengegensatz zu dem Ton der
Bilder bewirkt zu gleicher Zeit die entschiedenste Trennung derselben in gesonderte Wandfelder und
ihre entschiedenste Zusammenfassung zu dekorativer Einheit. Diese Pfeiler, welche unsere Nachbildungen
des besseren Eindrucks der einzelnen Blätter wegen jedesmal wiederholen *), so dass der Beschauer sich
erst ein völlig richtiges Bild von der Gesammtreihe machen kann, wenn er den rechten Pfeiler jedes
Blattes auf den identischen linken Pfeiler des folgenden Blattes legt, diese Pfeiler sind unter körperlichem
Scheine gemalt: die Breite ihrer Vorderfläche beträgt im Durchschnitt auf den Originalen etwa 0,20 M.
bei einer Höhe von etwa 1,60 M. mit Einschluss der Kapitale. Die perspektivische Ansicht ihrer Seiten-
flächen fällt bei den ersten fünf Pfeilern nach rechts, bei den übrigen nach links, so dass der Augenpunkt
für die Gesammtbetrachtung in das vom fünften und sechsten der uns erhaltenen Pfeiler eingerahmte
Kirkebild (Taf. V) fällt, und wir nach den Gesetzen der Symmetrie berechtigt sind, dieses Bild, welches
auch durch eine Architekturdarstellung markirt ist, als das Mittelbild der gesammten Reihe dieser Wand
anzusehen. Die Folgerungen, die sich hieraus für die Bestimmung des Lokales, in dem die Bildei-
gefunden wurden, ergeben, können erst im letzten Theile gezogen werden. Verschärft aber wird diese
durchgeführte Beziehung auf ein gemeinsames Zentrum noch dadurch, dass jedesmal an derjenigen Seite
des Pfeilers, an welcher die Seitenfläche sichtbar geworden, also weiter nach innen des gemalten archi-
tektonischen Gerüstes, ein zweiter, schwarzer Pfeiler schattenartig sich anschliesst. Diese schwarzen
Pfeiler, welche ihr ungegliedertes schattenartiges Ansehen wohl mit dem Umstände verdanken, dass in
ihnen die Bilder gebrochen und daher bei der Wiederzusammensetzung am meisten restaurirt worden,
befinden sich also ebenfalls zur Rechten der ersten fünf und zur Linken der übrigen rothen Pfeiler, so dass
nur das genannte Mittelbild von zweien derselben, deren Kapitale perspektivisch zusammenlaufen, eingerahmt
ist. Kann, wie gesagt, bei diesen inneren schwarzen Pfeilern, welche, wie sie aus dem schwarzen

Grundlinienstreifen der ganzen Reihe hervorzuwachsen scheinen, so auch oben nur einen einfachen,
gleichsam unteren, schwarzen Balken mit leichten gelben Ornamenten tragen, von Gliederung so wenig die
Rede sein, dass in ihrem gegenwärtigen Zustande kaum die Kapitale vom Körper sich lossondern, so
sind die hochrothen Hauptpfeiler um so reicher geschmückt und, als Träger des oberen gemalten Gebälkes
um so schärfer durch Hals und Kapital gegliedert. Ihre Vorderseiten sind durch je zwei rechteckige
Felderflächen eingetheilt, in denen flüchtig angedeutete, übereinanderstehende und jedesmal durch Rosetten
getrennte Flügelfiguren ein ansprechendes Ornament abgeben. An den rothen Stamm der Pfeiler setzt
sich oben ein schlichter goldgelber Hals an; auf den Hals, durch eine vorspringend gemalte Platte von
diesem getrennt, folgt das ebenfalls goldgelbe, elegante Kapital, welches in freier Weise Elemente der
ionischen und der korinthischen Ordnung verwerthet. Seinem unteren Ende entspringt nämlich eine
einfache Reihe schlichter Akanthusblätter. Oberhalb dieser, in der Mitte gesenkt, ist eine Art ionischen
elastischen Polsters dargestellt, welches seitwärts in elegante und sehr bescheidene Voluten ausläuft.
Auf diesen Voluten ruht die leicht geschweifte obere Platte, so dass zwischen dieser und der Senkung
des Polsters ein freier Raum bleibt, der hier hellroth gemalt ist und an der Stelle, wo sonst wohl Rosetten
angebracht sind, mit einer Art Szepterknaufs geschmückt ist, dem Postamente für den in der Mitte der
oberen Deckplatte thronenden Adler. Dieser Adler ist zwar deutlich erkennbar, aber keineswegs so
scharf gezeichnet, wie in der Separatabbildung des Kapitals bei Mairanga (Cittä di Lamo, Tau. VIII),
sondern hübsch in der breiten allgemeinen Manir dieser Architekturmalereien gehalten. Dem Kapital
als Ganzem sieht man es wohl an, dass es nur ein gemaltes ist und als solches, unbekümmert um seine
Ausführbarkeit in wirklicher Architektur, gedacht ist; allein von der durch Vitruv (VII, 5) getadelten
Unmöglichkeit späterer gemalter Architekturen ist es noch sehr weit entfernt, und eine durch die Einfach-
heit und Klarkeit seiner Motive bewirkte Eleganz und Würde wird man ihm gern zugestehen. Das
Scheingebälk, welches diese wohl als vergoldet gedachten Kapitale tragen, besteht im Wesentlichen aus
zwei durch gelbe Linien von einander und von dem unteren schwarzen Streifen des inneren Gerüstes
getrennten weiss gemalten Architravbalken. Oben schliesst es mit einem schwarzen Band ab, welches
wahrscheinlich den Uebergang bildete zu den Malereien des oberen Theils der Wände, deren Sockelbilder
uns vorliegen.

Lassen wir nunmehr im Geiste den Blick die ganze Reihe unserer Bilder entlangschweifen, so finden
wir, dass sowohl die Doppelstellung der perspektivisch bildeinwärtslaufenden gemalten Trennungsstützen
mit dem scharfen Gegensatze der schattenartig schwarzen inneren zu den blendendfarbigen äusseren
Pfeilern, als auch der gemeinsame Gegensatz dieses kräftigen Roths und dieses dunklen Schwarzes zu
den im Ganzen helleren und einförmigeren Farbentönen der Bilder, letztere in weitere Entfernung rücken
und die architektonisch gemalte Eintheilungsumrahmung scharf und bedeutsam in den Vordergrund
herausheben, so dass wir gleichsam wie aus einer prächtigen Pfeilerportikus hinausschauen auf ein
weites Panorama der Landschaft. Dieses, schon von E. Braun bemerkte -), aber nicht weiter motivirte
„Panoramaartige" des Gesammteindrucks wird durch die Anordnung und Aneinanderfügung der einzelnen
Gemälde auch bei näherer Betrachtung aufrecht erhalten und bestätigt. Zwar bildet die Bilderreihe,
soweit sie uns erhalten ist, kein ununterbrochen fortlaufendes Ganzes, wie dies bei dem Panorama einer
wirklichen Gegend der Fall sein würde; aber ebensowenig ist der Blick gezwungen, bei jedem neuen
Bilde einen neuen Anlauf zu nehmen und an einen ganz neuen Totaleindruck sich zu gewöhnen; vielmehr
sind von Bild zu Bild, aber immer nur von einem zum anderen, deutliche Uebergänge bemerkbar, ist ein
 
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