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Woermann, Karl [Hrsg.]
Die antiken Odyssee-Landschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom: in Farben-Steindruck — München, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.3256#0010
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Eine von steilen Felsen ringsumschlossene Bucht, durch einen engen Eingang zwischen zwei vor-
ragenden Felsen zu' einem so sicheren und ruhigen Hafen gemacht, dass sich niemals eine Welle darin
reo-te — das ist der Kern der homerischen Schilderung (v. 87—94) des Laistrygonenlandes. Unser erstes
Laistrygonenbild hat eine Gesammtdarstellung dieses Hafens offenbar nicht geben wollen, illustrirt auch
nicht die erste Einfahrt der Griechen in den enggeschlossenen Eingang, sondern die spätere, in den
Versen 100—111 geschilderte Szene. Die Schiffe der Griechen sind alle hineingefahren in die Bucht.
Odysseys allein ist draussen geblieben und entsendet von seinem Schiffe einen Herold in Begleitung
zweier seiner Freunde, um Land und Leute zu erkunden. Vor der Stadt begegnet denselben des Königs
Antiphates Tochter. Diese Szene ist dargestellt; dieser Szene entspricht auch die dargestellte Landschaft.
Wir befinden uns am Strande der Bucht. Links ist das Meer, blaugrün schimmernd und glatt. Die schroffe
Küste ist durch den gelben, steilen, isolirten Felsen vorgestellt, welcher auf unserem Bilde das Meer
begrenzt. Vielleicht hat der Maler durch ihn sogar eine der den Eingang bildenden vorragenden Klippen
andeuten wollen; doch würde dieses zu dem Ganzen nicht recht stimmen. Genau dagegen stimmt die
rechte Hälfte der Landschaft mit der Beschreibung in den Versen 103 u. 104 unseres Gedichtes. Wir
sehen des Gebirgs Anhöhe, wir sehen oben die Waldung, wir sehen deutlich den steilen Weg, der von
der Hohe herab zur Stadt führt, ganz so, wie Homer es beschreibt; ja, wir sehen am Fusse des Berges,
rechts im Vordergrunde der Quelle Artakia schönes Gesprudel; denn ich zweifle keinen Augenblick, dass
wir diese Quelle, da Homer weder Fluss noch Bach noch Teich an dieser Stelle nennt, in dem durch
hellere, fast silbergraue Farbe mit braunen uud weissen Wellenlinien von dem tiefer blaugrünen Meer
unterschiedenen Wasser, welches an dieser Stelle gemalt ist, zu erkennen haben5). Man wird wohl an-
nehmen müssen, dass diese Quelle der Felsenhöhle entspringt, welche gerade über ihr angegeben ist.
Eine Steinplatte führt als Brücke, den Weg vermittelnd, über sie hin. An diesem Orte geht, wie im Texte
der Odyssee, so auch auf unserem Bilde, die Handlung vor sich. Die Königstochter im blauen Kleide
und hellgelben, schleierartig auch um den Hinterkopf gelegten Obergewande, den Krug zum Wasser
schöpfen in der herabhangenden Rechten, die Linke grüssend'erhoben, steht in stolzer und würdig
anmuthiger Haltung noch am Bergweg, den sie herabgewandelt. Ihr gegenüber, kleiner als sie, die
Riesentochter, und als Männer durch eine röthlichere Fleischfarbe von ihr unterschieden, stehen die drei
Boten des göttlichen Dulders: durch deutliche Inschriften als Anülochos, Ancinalos und Eurybates bezeichnet6).
Im Texte des Epos sind diese Namen nicht genannt; doch wissen wir aus anderen Stellen "'), dass Odysseu?
Herold Eurybates hiess, und die anderen beiden Namen, als Freunde des Odysseys anderweitig beglaubigt \
hat der Maler entweder aus eigener Phantasie hinzugefügt, oder er hat sie einem der verlorenen Gedichte
dieses Kreises entlehnt. Die drei Männer sind mit kurzem röthlichen Chiton, hellerer Chlamys und weissem
Hute bekleidet. Der vorderste trägt einen Speer in der Linken, während er die Rechte anredend und
grüssend erhebt und auch den rechten Fuss den Berg hinangesetzt hat, den die Königstochter
herabkommt Er ist offenbar der Redner, hinter ihm, in ruhiger abwartender Haltung, stehen die beiden
anderen. Der mittlere hält zwei Speere, der letzte, welcher jenem die Linke auf die Schulter legt, ist
unbewaffnet.

Ich halte, wie Matranga, diesen letzteren und nicht mit Gerhard (Arch. Ztg. 1852 S. 499) den ersten
für den Herold; denn die Inschrift ANTIAOXOC steht zu augenfällig über dem Kopfe dieses ersteren,
als dass es erlaubt wäre, sie nicht eben auf diesen zu beziehen; bei den anderen beiden könnte die
Beziehung zweifelhaft erscheinen, weil der Name ANXIAAOC über beider Köpfe und GYJ'YßATHC unter
beider Füsse sich hinzieht; doch kennzeichnen die Speere den mittleren wohl als Kriegshelden dem Herold
gegenüber; und es scheint überdies, dass der Maler, wenn auch massvoll und halbwegs durch die
Haltung verdeckt, in dem letzteren die bucklichte Gestalt habe andeuten wollen, mit welcher nach Od.
XIX v. 246 Eurybates behaftet war.

Im Uebrigen sehen wir auf unserem Bilde links im Meere die „zwiefachrudernden Schiffe" im Räume
des ringsumhügelten Portes befestigt, nahe gereiht (v. 91—93); wir sehen über dem Meere in dem
graueren, röthlich zum Horizonte sich senkenden Himmel die Windgütter gemalt, welche unser Bild an
das am Anfange des Gesanges geschilderte Aiolos- Abenteuer anknüpfen und wahrscheinlich den
Übergang aus dem nicht erhaltenen vorhergehenden Bilde, auf dem jenes Abenteuer dargestellt gewesen
sein muss, vermittelt haben. Grau in grau oder blau in blau sind sie gemalt als ganze Gestalten9),
geflügelt, bewegt und in trompetenartige Blasrohre stossend, den stürmischen Charakter aber sowohl

durch ihre Haltung als durch das nebelhafte Kolorit, in welches sie gehüllt sind, zum Ausdruck bringend.
Wir sehen ferner vorn am Gestade links in einem hochgeschnäbelten Boote einen braunen Fährmann mit
Hut und Chiton im Begriffe mit dem Ruder vom Felsenufer abzustossen. Die jetzt stark verloschene,
aber sichere10) Inschrift AKTAI, „Gestade", über seinem Kopfe, hat mit Anlass gegeben zu Hetbig's
Erklärung der Naturpersonifikationen '*). Er ist als Fährmann, ohne weitere Beziehung zu der sonstigen
Handlung, die realistische Verkörperung des Gestades. Nicht weit von dieser genrehaft staffageartigen
Individualisirung der Landschaft Hegt dagegen am Fusse des grossen einzelnen Felsens eine andere,
idealere Naturpersonifikation in Gestalt einer Nymphe in rosenrothem, blaugrün gegürtetem Kleide, ein
gelbes Gewand über den Beinen, ein Kopftuch um's Haupt12). Sie hat in behaglicher halbliegender
Stellung den rechten Arm auf den Boden gestützt, indem sie, dem Beschauer den Rücken kehrend, sich
nach der Quelle umsieht. Krug und Schilfrohr hält sie in der Linken. Ueber ihrem Kopfe im gelben
Felsengrunde ist deutlich noch heute die Inschrift KpHNH, „Quelle", erkennbar 13). Unzweifelhaft haben
wir es also mit einer Quellennymphe zu thun; und ebenso unzweifelhaft kann nur die Quelle Artakia
gemeint sein. Diese in Folge dessen nur an der Stelle der Inschrift und in dem süssen Wasser rechts
einen anderen unbekannten Fluss zu suchen, erscheint ungerechtfertigt und unnatürlicher, als die Annahme,
das die Nymphe nur aus Kompositionsrücksichten vom Maler etwas weiter von der realen Darstellung
der Quelle entfernt ist, als man erwarten möchte. Sie Hegt immer noch nahe genug, und ihre Haltung
und Rückwendung zu jener Darstellung kennzeichnet sicher genug ihre Beziehung zu derselben11). Die
wichtige und interessante Reihe der Naturpersonifikationen auf unserem Bilde schliessen wir mit dem
nackten oder nur leicht geschürzten Berggott, welcher, die Rechte über's Haupt gelegt, behaglich oben
am Bergabhang ruht, unbekümmert um Sturm und Sonnenschein, um Griechen und Laistrygonen, seiner
göttlichen Existenz in behaglicher Breite geniessend. Aehnliche Figuren kommen sowohl auf Sarkophag-
reliefs als auf kampanischen Wandgemälden rj) so oft vor und gelten so unbestritten für Berggötter, dass
ein Zweifel an der Bedeutung der unsrigen nicht aufkommen kann, obgleich keine Inschrift sie bezeichnet.
— Nicht ohne Weiteres in die Reihe dieser Vermenschlichungen der Natur, wenngleich an sich so gut,
wie der Fährmann, dazu geeignet, gehört der Hirte, welcher im Mittelgrunde ganz rechts zum Bilde
hinausläuft. Sein Bündel trägt er am Stecken über dem Rücken, einen Hut von kalabresischer Form auf
dem Kopfe, und er ist schon halb hinter dem rothen Pfeiler verschwunden, der unser Bild von dem
nächsten trennt. Seine Rinder folgen ihm springend nach. Allerdings nimmt auch dieser Hirt mit seiner
Heerde nicht an der heroischen Handlung der Bilder Theil, sondern dient ebenfalls zur Bezeichnung der
Lokalität; aber er ist schon von Homer als solcher verwandt und gehört daher doch unmittelbar zur
figürlichen Illustration der Odyssee. Homer erzählt uns (v. 82—86), das Weideland des Laistrygonenufers
sei so fruchtbar, dass Nachts die Schafe und bei Tage die Rinder daselbst weiden konnten und die
eintreibenden und austreibenden Hirten einander zurufend begegneten. Diese Szene hat der Maler im
Hintergrunde an der Grenze unseres und des folgenden Bildes darstellen wollen. Innerhalb ihrer liegt
der verbindende Uebergang von Bild zu Bild, von dem oben die Rede gewesen. Wir werden beim
nächsten Bilde auf sie zurückkommen. Vorläufig hat der Maler die Doppelweide schon auf unserem
Bilde zur Darstellung gebracht, indem er den rothen Rindern zwei stattliche weisse Schafe vorn an der
Quelle entgegengestellt hat.

Von dem landschaftlichen Gesammteindruck unseres Bildes lässt sich nicht viel rühmen. Der gewaltige
gelbe Felsen der Mitte theilt es in zwei Hälften. Links strebt das Meerwasser, rechts strebt nicht nur
die Süsswasserquelle, es streben Hirt und Rinder in augenfälligster Weise zum Bilde hinaus. Doch
werden wir später sehen, dass sich dieses durch die erwähnten Uebergänge von einem Bilde zum anderen,
aus denen bei einigen unserer Darstellungen andere Kompositionseinheiten, als die durch die rothen Pfeiler
abgegrenzten, hervorgegangen, zur Genüge erklärt Die Malerei der Berge ist Im Ganzen zu sehr
verwischt, als dass man von dem Stil der Darstellung reden könnte; doch dürfen wir nie vergessen, dass
wir es nur mit flüchtigen Dekorationsarbeiten zu thun haben, welche nicht berechnet sein konnten, der
landschaftlichen Pli3rsiognomik in ihren Feinheiten gerecht zu werden. Innerhalb dieser Grenzen ist das
Meer mit seinen Schiffen, an deren Darstellung auch ein perspektivisches Bestreben unverkennbar ist, ist
die Luft mit ihren die Sturmwolken ersetzenden Windgöttern, so wenig dieser Ersatz einer landschaftlich
angeregten Phantasie entspricht, sind Fels und Berg, ersterer in seiner schroffen Nacktheit, letzterer als
oben bewaldet, sind der schilfbewachsene Strand und die hellere Quelle, in welcher die Gewächse sich
 
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