Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Woermann, Karl [Hrsg.]
Die antiken Odyssee-Landschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom: in Farben-Steindruck — München, 1876

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3256#0016
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Widderopfer in der Unterwelt ziemlich am Anfang- des elften Gesanges steht, so bleibt für unser Bild
nichts übrig-, als eine andere Szene oder Doppelszene aus dem ferneren Verlaufe des Kirkeabenteuers,
zwischen Vers 326 und dem Schlüsse des zehnten Gesanges. Da wir zwei Unterweltsbilder und gar
vier Laistrygonenbilder haben, so wäre es auch auffallend, wenn nur ein Bild aus dem reichhaltigen
Kirkeabenteuer dargestellt gewesen wäre.

Weitcrc Muthmassungen über die dargestellte Szene sind bei dem vollständig chaotischen Zustande
des zerstörten Bildes unthunlich.

VII. ERSTES UNTERWELTSBILD.

Taf. VI. Plan (Taf. VII B), Wand C, h. Maasse des Ordinal:;, ohne die architektonische Einfassung: H

ODYSSEE, Elfter Gesang, Vers 14—330, \

t Zehnter Gesang, Vers

—540 zu vcvgltichtr

Mit schwerem Herzen hat Odysseus sich entschlossen, die ihm von Kirke beim Abschied dringend
zur Befragung des Teiresias anbefohlene Fahrt in die Unterwelt anzutreten. Die Göttin hat ihn durch
eine genaue Beschreibung des Lokals (Zehnter Gesang, Vers 50g—515) und eingehende Vorschriften über
sein Benehmen nur halb beruhigt. Zu Anfang des elften Gesanges wird kurz die Fahrt erzählt. Die
Lokalschilderung wird nicht wiederholt, und es ist daher im" Wesentlichen die vorhergehende Beschreibung
der Kirke, auf welcher die Erklärung der landschaftlichen Lokalität unseres Bildes beruhen muss35),
während die auf ihm dargestellte Handlung die längere Erzählung des elften Gesanges bis zum 330. Verse
gut und in malerisch zusammengedrängter Weise illustrirt

Auf unserem Bilde also sehen wir links das Meer, des Okeanos Strömung, welche nach X, 509, wie
nach XI, 21, das Reich der Persephoneia umgibt. Der Eingang- in die Unterwelt vom Meere aus ist durch
ein mächtiges Felsenthor wiedergegeben. Diesseits desselben, die ganze grössere Hälfte des Bildes
einnehmend, ist das Reich der Schatten, in dessen ewiges Dunkel hier, nahe dem Eingang, noch ein
breiter Lichtstrom von aussen hineinfällt, wie wir von innen hinaussehn auf Meer und Himmel. An
dem Zusammenfluss der Unterweltsströme soll nach der Vorschrift der Göttin Odysseus sein Opfer
vornehmen. Er selbst erzählt uns im Folgenden, dass er Alles ausgeführt habe, wie die Göttin es
befohlen. Wir müssen also in der That auf unserem Bilde die Stelle suchen (X 513—515),

„wo in den Acheron dort der Strom Pyriphlegethon stürzet,
Und des Kokytos Strom, der ein Arm der stygischen Flut ist,
Dort am Fels, wo sich mischen die zween lautbrausenden Ströme."

Während man nach dieser Schilderung den Zusammenfluss dreier und nicht, wie der letzte Hexameter
sagt, nur zweier Ströme erwarten sollte, sehen wir auf unserem Bilde, welches freilich links im Meere
Wassers genug enthält, vorn rechts nur noch ein einziges Gewässer abgebildet, welches wir doch wohl
als den zuerst genannten Hauptstrom, als den Acheron, auffassen müssen, wie wir denn auch für die bis
auf ein Tuch, das sich los um die Lenden legt, nackte und bärtige männliche Figur, die vorn an den
Klippen zwischen Meer und Acheron, aber offenbar zu letzterem gehörig in weicher Flussgottstellung
gelagert ist, bei der von den ersten Erklärern gewählten Benennung der Personifikation des Acheron
bleiben. Er ist nicht sehr gut erhalten. Ob und welche Attribute er gehabt, ist nicht deutlich sichtbar.
Die Linke scheint auf einem zwischen seinen Beinen gestützten Stab zu ruhen, die Rechte ruht nachlässig
am Oberschenkel. An seiner Eigenschaft als Flussgott wird indess der Geübte keinen Augenblick
zweifeln, er wird vielmehr die Routine des Dekorationsmalers bewundern, der noch auf einem so flüchtigen
Bilde das Wesentliche der Flussgottformen, den weichflüssigen Schwung der Linien, einfach uud klar
wiedergegeben und in die Haltung sogar etwas von dem trotzig Finstern des Seufzerstromes hineinzulegen
gewusst hat36). Eine zweite nicht irdische Gestalt liegt über dem Acheron an dem Abhang des Felsen-
thores, nicht, wie jener, uns, sondern dem Innern des Bildes zugewandt. Auch diese bärtige männliche
Figur ist nebelhaft dargestellt oder hat durch die Zeit sehr gelitten. Ein Riss, der über ihren Rücken
geht, lässt es sogar zweifelhaft erscheinen, ob sie mit einem Stücke Gewandes bekleidet gewesen. Im
Wesentlichen ist auch sie jedenfalls nackt. Attribute sind nicht vorhanden oder doch nicht deutlich zu
erkennen. Die Figur für einen Berggott zu halten, liegen keine Anhaltspunkte vor. Vielmehr glaube

ich, unter Berufung auf die besonders im Figürlichen treue Anlehnung unseres Malers an Homer in ihr
nur den anderen der „zween lautbrausenden Ströme", wahrscheinlich den Kokytos erkennen zu müssen.
Fand der Maler keinen Platz, beide Strome in natura abzubilden, so wollte er seine Eigenschaft als treuer
Illustrator doch wenigstens durch die Darstellung der beiden personifizirenden Flussgötter bethätigen.

Ausser dem Felsenthore, den Klippen des Vordergrundes, dem Meere und dem Acheron, fällt in
landschaftlicher Beziehung das viele hohe Schilfrohr auf, welches an fast allen Theilen des Bildes, unten
an den Klippen, aussen an dem in's Meer abstürzenden Felsen, innen im Eingangsthor zur Unterwelt
und tief hinten rechts im Grunde, aus dem die Schatten hervorquellen, gemalt ist. Die über mannshohe
Canna, welche noch heutzutage in ähnlichen Gegenden Italiens viel vorkommt, ist im Charakter gut
wiedergegeben und das Geisterhafte ihrer Erscheinung hat der Maler im gegebenen Falle augenscheinlich
besser zur Darstellung des Gestades der Persephoneia verwenden zu können geglaubt, als die Pappeln
und Weiden, die Homer (X, 510) hierher versetzt3*).

Innerhalb dieser grossartigen und einfachen Landschaft, die noch durch eine wunderbare Beleuchtung
an geheimnissvollem Zauber gewinnt, geht also die Handlung vor sich. Links auf dem Meere ist natürlich
das Schiff des Odysseus. Alle übrigen Schiffe sind ja schon von den Laistrygonen vernichtet worden.
Da es mit vollgeschwelltem Segel einherfährt, so müssen wir annehmen, dass auch noch Odysseus darin
sitzt, sodass, genau genommen, auch auf diesem Bilde der Held zweimal in verschiedenen Momenten der
fortlaufenden Handlung dargestellt wäre. Der Eindruck dieser Seite des Bildes entspricht denn auch
dem Eindruck der Verse XI, 9—13:

„Als wir jetzt in dem Schiffe g-efertiget alle Geräthschaft,
Sassen wir da, vom Wind und Steuerer sanft gelenket.
Ganz durchfuhr es den Tag- mit geschwollenem Segel die Meerflut.
Nieder tauchte die Sonn', und schattiger wurden die Pfade.
Jetzo erreicht war das Ende des tiefen Okeanosstromes."

Der helle röthliche Schimmer des Himmels am Meereshorizonte mag die Zeit des Sonnenunterganges
andeuten sollen, und sehr energisch spiegeln sich in der Färbung des Flimmers, der links heller, rechts
ganz dunkel gemalt ist, die Worte: „schattiger wurden die Pfade" wieder. Die dunkle Nacht dagegen,
welche nach den folgenden Versen beim Landen unserer Helden über sie hereinbricht, hat der Maler
sich darzustellen gehütet. Nur einen dunkleren Ton, als er den dunkelsten Schatten seiner übrigen
Bilder gegeben, hat er doch über die Unterweltspartie ausgegossen; und damit wir die folgenden
Vorgänge auch sehen können, lässt er sogar einen breiten Lichtstrom von aussen durchs Felsenthor auf
die Stelle fallen, wohin er die Szene verlegen wollte.

„Dort nun hielten die Opfer Eurylochos und Perimedes." Hiermit beginnt (nach Vers 2^) die auf
den Mittelgrund rechts konzentrirte figürliche Darstellung des Bildes. Die zum Theil zerstörten Inschriften
über den Personen sind doch deutlich g~enug erhalten, um im allgemeinen die dargestellten Momente zu
bestimmen. Links liegt der geopferte Widder, alle Viere gen Himmel gestreckt, auf dem Rücken. Perimedes
und Eurylochos sind noch mit seiner Ausnahme oder sonst um ihn beschäftigt. Als Perimedes, dessen
Inschrift so gut wie zerstört ist, ist die Figur ganz links anzusehen, da die zweite als Eurylochos durch
die zwar sehr fragmentirte, aber sichere, Inschrift38) ausser Zweifel gestellt ist. Sodann folgt, nach rechts
den andrängenden Schatten entgegengewandt, Odysseus. Sein Pilos ist nicht deutlich charakterisirt. Die
Inschrift über ihm aber (ü;\YCöi;~Y"cr) ist, wenn auch etwas verwaschen, so doch noch sehr gut zu lesen.
Wie er die Gruft gegraben und sein Todtenopfer gehalten, sehen wir nicht. Wir sind bereits eine Szene
weiter, da Teiresias vor ihm" steht. Vorher hat Odysseus (nach XI, 50—83) Elpenor's Schatten begrüsst,
der auf Kirke's Eiland umgekommen und unbestattet liegen geblieben war und daher am Eingang der
Unterwelt rastlos umherirrte, ohne zur Ruhe eingehen zu können. Des Odysseus Gespräch mit Elpenor
ist als bereits vorüber gedacht. Elpenor sitzt einsam oben am Bergabhang, die Ellenbogen auf die
Kniee, den Kopf in die Hände gestützt, durch die bei einiger Anstrengung noch deutlich zu lesende
Inschrift eAIII-INCL)|', deren G und CL) eigentlich nur zerstört sind, gekennzeichnet. Sein Schicksal ist
durch seinen einsamen Felsensitz am Rande der Unterwelt ganz gut ausgedrückt. Nach Elpenor drängt
sich Odysseus' Mutter heran (v. 84—89), um, indem sie vom Widderblut trinkt, Gedächtniss und Sprache
zurückzuerhalten; aber auch ihr wehrt Odysseus, näher zu treten, bevor er Teiresias befragt. Vielleicht
 
Annotationen