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Woermann, Karl [Hrsg.]
Die antiken Odyssee-Landschaften vom Esquilinischen Hügel zu Rom: in Farben-Steindruck — München, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.3256#0017
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11 I

W i



soll die etwas nach vorn vorübergeheugt stehende Figur seine Mutter sein. Er selbst aber, den linken
Fuss auf einen Stein gestellt, in lauschender Stellung vorübergebeugt, ist gerade in dem dargestellten
Momente im Begriffe, das Tdresias Orakel zu vernehmen. Teiresias, von dessen Inschrift nur der erste
Buchstabe zerstört, eij'COAC aber noch ganz gut zu lesen ist, steht im langen Priestergewand, graubärtig,
den goldenen Stab in der Hand, ebenfalls in vorgebeugter Haltung jenem gegenüber. Rechts im
Hintergrunde harren die übrigen Schatten des Fortganges des Teiresias, um ihrerseits, vom Blute kostend,
eine Weile irdischen Gedächtnisses und Gespräches sich zu erfreuen. Nach dem Gange der Erzählung
unseres Gedichtes sind es die berühmten Frauen des griechischen Mythus, welche, nachdem Teiresias und
die Mutter des Odysseys ihr Gespräch mit diesem beendet, zuerst aus dem Dunkel des Hades sich
herandrängen. Diese Frauengesellschaft sehen wir denn auch In der That in harrender Stellung Kopf
an Kopf dastehen. Aus dem Schilfdickicht des Hintergrundes quellen sie hervor. Nebelhaft und im
Einzelnen nicht zu erkennen ist die hintere. Schaar gemalt; nur viere sind, ausser der als Odysseys Mutter
erkannten Figur und dreien noch weiter rechts im Vordergrund (von denen eine männlich zu sein scheint,
aber doch wohl nur scheint) so nahe, dass sie in Haltung und Gewandung näher erkennbar sind. Drei
von diesen vieren sind sogar durch Inschriften als bestimmte Personen bezeichnet: Phaidra, deren Name
4A1A^A vollständig zu lesen ist; 'Ariadne, die ebenfalls deutlich die Inschrift ApIAANI-l über sich trägt,
und JLeda, von deren Namen das A zerstört ist, die Buchstaben HAA aber ganz wohl leserlich sind. Ich
beziehe die Ueberschrift Leda auf die Figur in gelbem Kleide, rechts von der mit dem Hute versehenen,
die in ihrer Tracht an Atalanta erinnert, wie sie auf kampanischen Wandgemälden vorkommt39). Homer
nennt unter den sich andrängenden Gemahlinnen edler Helden vierzehn Namen: Tyro, Antiope, Alkm&ie,
Megäre, Epikaste, Ckkris, Leda, IpMmedet'a, Phaidra, Prokris, Ariadne, Mäira, Klymme und Eriphüe.
Dreie derselben sehen wir also inschriftlich auf unserem Bilde beglaubigt*; die übrigen in den schatten-
haften, durch Nichts charakterisirten Gestalten aufzusuchen, wäre natürlich vergebliches Bemühen.

Dass unser Bild mit der von Polygnoi in der Lesche zu Delphi gemalten Nekyia gar nichts gemein
hat und gemein haben kann, versteht sich eigentlich von selbst. Wenn die ersten Erklärer, Matranga
und Braun''0), nicht viel Aufhebens von dem vermeintlichen Zusammenhange unseres Bildes mit jenem
gemacht hätten, so könnte ich mir die Mühe sparen, auf die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden
aufmerksam zu machen. Auch kann ich erst nach der Betrachtung des folgenden Bildes die Summe
dieser Unterschiede ziehen. Jedoch muss ich schon hier konstatiren, soviel sich aus dem vorliegenden
Bilde ergibt. Bekanntlich hatte Polygnoi sich in seinem Gemälde ebensosehr an andere Gedichte, besonders
an die Minyas angelehnt, wie an die Odyssee'1), während unser Bild geradezu und nur die Odyssee
illustrirt. So sehen wir denn auch, dass Charon, welcher nach Patisamas zum ersten Male in der Minyas
vorkommt und in der Odyssee noch nicht erwähnt wird, in der That auf unserem Bilde nicht dargestellt
ist, während er auf dem Polygnotischen Gemälde mit seinem beladenen Kahne eine bedeutende Rolle
spielte. So sehen wir ferner, dass jene Frauen edler Helden sich auf unserem Bilde, der Odyssee-
entsprechend, in dichten Schaaren zum Widderblute herandrängen, während dieselben nach Paicsanias
auf dem Polygnotischen Gemälde einzeln In verschiedenen, ihren Tod oder ihr Verbrechen andeutenden
Stellungen dargestellt waren; Ariadne z. B. sitzt aui einem Felsen und sieht auf ihre Schwester Phaidra,
die mit dem übrigen Körper an einem Stricke schwebt und sich mit beiden Blanden am Stricke hält,
u. s. w. Elpenoi- und Odysseys hocken auf dem Polygnotischen Gemälde einander gegenüber an der
Grube, und Perimedes und Eurylochos tragen die schwarzen Widder erst herbei, kurz, keine einzige der
auf unserem Bilde dargestellten Figuren war auf dem Polygnotischen Gemälde auch nur annähernd ähnlich
dargestellt: höchstens das Schilf, dessen Homer nicht gedenkt, konnte unser Maler dem delphischen
Gemälde entlehnt haben, woraus man mit Braun nur nicht folgere, die ganze Landschaft des Polygnotischen
Gemäldes habe sich ähnlich, so präsentirt, wie die unsre. Allem Anscheine nach war das Polygnotische
Bild in viele einzelne Szenen zerlegt, wahrend das unsrige, abgesehen von dem Meere mit dem Schiffe,
genau genommen nur eine einzige Szene, ja nur die zwei homerischen Verse 90 u. 91 des elften Gesanges
illustrirt*2), indem es aus den Grenzen der Poesie und Malerei sich von selbst ergibt, dass die letztere
schon hier die harrenden Schatten mitmalen kann, die der Dichter erst viele Verse spater einführt, und
ebenso den in der Dichtung bereits abgethanen Elpenor in dieser Stellung malen kann.

Dieser Einheit der Handlung auf dem grossesten Theile unseres Bildes entspricht denn auch die
Einheit der Landschaft. Ich nehme keinen Augenblick Anstand, unser Bild für das grossartigste und

.geschlossenste von allen erhaltenen Landschaftsbildern des Alterthums, ohne eine einzige Ausnahme, zu
erklären. Es Ist ein einheitlicher Zug der Komposition in diesem gewaltigen Felsenthor am Meere mit
dem schilfumwachsenen Acheron und den Klippen, die diesen vom Meere trennen, wie ihn kein einziges
der kampanischen Wandgemälde aufweist; und noch einziger, womöglich, steht das Kolorit unseres Bildes
da: die von links nach rechts aus dem Hellen zum Dunkeln übergehende Färbung des Himmels, der tiefe
Schatten, welchen die die Unterwelt einschli essen den Felsen auf den ganzen rechten Theil des Bildes
werfen, dem entsprechend die dunkle stahlblaue Farbe des Acheron, gegen die das Meerblau diesmal
heller erscheint, und vor allen Dingen, Innerhalb der durch die genannten Elemente bedingten Schatten,
der durch das Felsenthor einfallende breite Lichtstreifen, in dem die Figuren, deren Gewänder wohlweislich
alle in denselben gelben oder bläulichen Tönen gehalten sind, fast wie im Lichte eines Rembrandt'schen
Helldunkels erscheinen (soweit die oberflächliche Dekorationsmalerei eines Handwerkers an die Pinsel-
führung des grossen Holländers erinnern kann) — alle diese Effekte zusammengenommen heben unser
Bild nicht nur aus der Reihe, der es angehört, mächtig heraus, sondern machen es nach dieser Seite hin
geradezu zum interessantesten aller uns erhaltenen antiken Wandgemälde. —

VIII. ZWEITES UNTERWELTSBILD.

Tal". VII A. Plan (Taf. VII B) Wand C, h. Höhe des Originals 1,15 m. Breite, soweit erhalten, 0,79 m.
ODYSSEE, Elfler Gesang, Vers 567- 600.

Unser Bild, rechts von keinem Pfeiler begrenzt und nur halb so breit, wie die übrigen, ist offenbar
nur die linke Hälfte eines Bildes, wie jene. Wir könnten uns hierbei mit der Erklärung, die rechte Hälfte
sei eben abgebrochen und zerstört, ohne Weiteres beruhigen, wenn die Ausgrabungsberichte43) nicht
ausdrücklich konstatirten, dass dieses letzte der erhaltenen Bilder unserer Reihe nicht mit einem Bruch
geendet, sondern an eben jener Stelle gerade abgeschnitten und mit einer mit geglättetem Stucco
bekleideten Mauerlaibung abgeschlossen gefunden sei; so dass dort augenscheinlich eine Thür oder ein
Durchgang in der im Uebrigen zugestandener Massen ausgedehnter gewesenen Mauer sich befunden
habe. Wir müssen diesen Bericht trotz des kleinen unregelmässigen Bruches oben in der Ecke als
beglaubigt akzeptiren, und nur die Frage kann uns noch Interessiren, ob jener Eingang schon dagewesen,
ehe die Bilder gemalt worden, oder ob er erst später mit rücksichtsloser Zerstörung des Bildes hineinge
brachen worden sei. Von unserm modernen Standpunkt aus möchten wir uns von vornherein für die
letztere Ansicht entscheiden, da wir uns von einem Maler nicht gut denken möchten, dass er seine schöne
Bilderreihe in der Weise eines gedankenlosen Tapezirers entweder absichtlich ohne Fortsetzung mitten
in einer der interessantesten Darstellungen abgebrochen, oder auch nur an der anderen Seite der Thür,
jedenfalls mit Zerstörung des Zusammenhanges, wieder aufgenommen habe. Indessen fehlen die Beispiele
für ein derartiges Verfahren in der antiken Wandmalerei keineswegs. Ich habe ein derartiges Abbrechen
eines umrahmten Bildes an mehreren Beispielen in zwei verschiedenen pompejamschen Häusern gefunden:
einmal im Atrium der sog. casa del naviglio (Strada della Fortuna Nr. 61) und das andere Mal im Atrium
des Hauses Nr. 9 im vico d'Eumachia. In beiden Fläusern kann nicht der geringste Zweifel obwalten,
dass die Durchgänge von Anfang an vorhanden gewesen, früher jedenfalls als die später aus einem Gusse
aufgetragene und bemalte Stuccobekleidung; und in beiden Fläusern sind es Landschaftsbüder de,s Sockel-
frieses, welche auf die genannte Weise, wo ihnen eine Thür in den Weg kam, einfach halbirt und an
der anderen Seite nicht einmal fortgesetzt sind; und diese Bilder sind, wohlverstanden, ebensowenig mit
der Schablone gemacht (wodurch das Verfahren sich eher erklären würde), wie unsere Odysseelandschaften.
So hoch nun diese unsere Bilder auch über manchen der' pompejamschen Schmierereien stehen mögen, sie
gehören doch mit ihnen in dieselbe Klasse mehr oder weniger flüchtiger Dekorationsmalereien, und was
bei solchen in Pompeji möglich war, muss es auch in Rom gewesen sein. Auch spricht das innere,
besonders das figürliche Arrangement unseres Bildes, welches rechts abgeschlossen ist, dafür, dass der
Maler es von Anfang an nicht grösser gemalt habe, so dass wir es, wenn auch nicht als gewiss, so doch
als möglich hinstellen dürfen, dass der Durchgang früher dagewesen sei, als das Bild und dieses vom
Maler daher nicht grösser, als in seiner vorliegenden halben Gestalt gedacht und ausgeführt werden
konnte. Doch müssten wir in diesem Falle wohl annehmen, dass er von den Vorbildern, die er doch
 
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