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Zweites Buch. Die alte Kunst des Morgenlandes.
mit Ochsenhörnern bekrönt, tritt er an einem Grabe zu Pinara auf (s. die untere Abbildung,
S. 207). Ein freistehendes Spitzbogenholzhaus dieser Art stellt ein Steinsarkophag von Anti-
phellos dar, der in merkwürdiger Art nicht nur den Holzstil mit dem Steinbau, sondern auch
einen gotisch wirkenden Gesamteindruck mit echt griechischen Einzelzieraten verbindet.
Der Übergang von der altlpkischen in die griechische Zeit läßt sich noch lehrreicher als in
der Baukunst in der lpkischen Plastik verfolgen. Doch machen nur wenige ihrer Werke einen
entschieden vorgriechischen Eindruck. Man rechnet die Reliefs von einem zertrümmerten Grab-
turm zu Trysa, vor allem aber den plastischen Schmuck eines Grabes zu Xanthos, der ins Bri-
tish Museum gekommen ist, hierher. Die liegenden Löwen, von denen einer ein Junges zwischen
den Tatzen hält, sind freilich zu weich gebildet, um für archaisch-griechisch gelten zu können. Vor
allen Dingen aber ist der Held, der einem aufrecht vor ihn: stehenden Löwen in ruhiger Hal-
tung das Schwert in den Bauch bohrt, trotz seiner Nacktheit persisch oder gar chaldäisch in Hal-
tung und Bildung.
An der Hand der hellenischen Kunst werden wir nach Kleinasien zurückkehren. Die An-
leihen, die diese in ihrer Jugend bei den kleinasiatischen Barbaren gemacht, hat sie ihnen mit
reichlichen Zinsen zurückerstattet. Aber es wäre irrig, die Zeit der griechischen Rückwirkung auf
das nichtgriechische Kleinasien zu früh auzusetzen und etwa in jenen phrygischen und paphla-
gonischen Säulenkapitellen, die bald an das dorische, bald an das ionische, bald gar an das
korinthische Kapitell der Griechen erinnern, nur Kümmerformen dieser zu erkennen. Schon ihre
frische und ursprüngliche Gestaltungsmannigsaltigkeit beweist, daß sie vielmehr, so gut wie die
cyprischen Kapitelle, als Vorstufen der ausgebildeten griechischen Ordnungen anzusehen sind,
auch wenn sie im einzelnen Falle jünger sein sollten als diese. Aus dem Durcheinander dieser
oder ähnlicher Vorstufen auf der gleichen Grundlage einheimischer Entwickelung und orienta-
lischer Einwirkung hat die überlegene künstlerische Einsicht der Hellenen erst ihre drei klassischen
Ordnungen herauskristallisiert.
IV. Die altpersische Kunst.
1. Die Kunst unter Kyros und Kambyses.
Als nach dem Falle Babylons (538 v. Ehr.) ganz Vorderasien dem großen Perserkönig
Kyros zu Füßen lag und nach der Eroberung von Memphis (525 v. Ehr) das heilige Nilland
sich Kambyses, dem Sohne des Kyros, unterwarf, war die Vorherrschaft der arischen Rasse aus
dem Erdball entschieden. Seit der Zeit dieser Achämenidenherrscher tritt auch die persische Kunst
in den Gesichtskreis der Forschung. Dieser verhältnismäßig jungen Kunst fehlt es nicht an
Pracht und Würde; aber sie war noch weiter entfernt davon, eine Volkskunst zu sein, als die
Kunst Ägyptens und Mesopotamiens, die, wenn auch hauptsächlich von den Herrschern gepflegt,
doch auf nationalem Boden erwuchs und weite Schichten des Volkes ergriff. Die altpersische
Kunst ist vielmehr nur die künstliche amtliche Kunst eines stolzen und erfolgreichen Herrscher-
geschlechts, das den Ehrgeiz hatte, es auch auf dem Gebiete der höheren Gesittung den besiegten
Völkern gleichzuthun. Kein Wunder daher, daß ihre Schwingen sofort erlahmten, als die Siege
Alexanders des Großen die persische Herrscherherrlichkeit vernichtet hatten. In einem Zeitraum
von zweihundert Jahren (550—330) entwickelt, verblüht, gewaltsam vernichtet, gehört die Per-
serkunst thatsächlich nur wenigen Geschlechtern an.
Zweites Buch. Die alte Kunst des Morgenlandes.
mit Ochsenhörnern bekrönt, tritt er an einem Grabe zu Pinara auf (s. die untere Abbildung,
S. 207). Ein freistehendes Spitzbogenholzhaus dieser Art stellt ein Steinsarkophag von Anti-
phellos dar, der in merkwürdiger Art nicht nur den Holzstil mit dem Steinbau, sondern auch
einen gotisch wirkenden Gesamteindruck mit echt griechischen Einzelzieraten verbindet.
Der Übergang von der altlpkischen in die griechische Zeit läßt sich noch lehrreicher als in
der Baukunst in der lpkischen Plastik verfolgen. Doch machen nur wenige ihrer Werke einen
entschieden vorgriechischen Eindruck. Man rechnet die Reliefs von einem zertrümmerten Grab-
turm zu Trysa, vor allem aber den plastischen Schmuck eines Grabes zu Xanthos, der ins Bri-
tish Museum gekommen ist, hierher. Die liegenden Löwen, von denen einer ein Junges zwischen
den Tatzen hält, sind freilich zu weich gebildet, um für archaisch-griechisch gelten zu können. Vor
allen Dingen aber ist der Held, der einem aufrecht vor ihn: stehenden Löwen in ruhiger Hal-
tung das Schwert in den Bauch bohrt, trotz seiner Nacktheit persisch oder gar chaldäisch in Hal-
tung und Bildung.
An der Hand der hellenischen Kunst werden wir nach Kleinasien zurückkehren. Die An-
leihen, die diese in ihrer Jugend bei den kleinasiatischen Barbaren gemacht, hat sie ihnen mit
reichlichen Zinsen zurückerstattet. Aber es wäre irrig, die Zeit der griechischen Rückwirkung auf
das nichtgriechische Kleinasien zu früh auzusetzen und etwa in jenen phrygischen und paphla-
gonischen Säulenkapitellen, die bald an das dorische, bald an das ionische, bald gar an das
korinthische Kapitell der Griechen erinnern, nur Kümmerformen dieser zu erkennen. Schon ihre
frische und ursprüngliche Gestaltungsmannigsaltigkeit beweist, daß sie vielmehr, so gut wie die
cyprischen Kapitelle, als Vorstufen der ausgebildeten griechischen Ordnungen anzusehen sind,
auch wenn sie im einzelnen Falle jünger sein sollten als diese. Aus dem Durcheinander dieser
oder ähnlicher Vorstufen auf der gleichen Grundlage einheimischer Entwickelung und orienta-
lischer Einwirkung hat die überlegene künstlerische Einsicht der Hellenen erst ihre drei klassischen
Ordnungen herauskristallisiert.
IV. Die altpersische Kunst.
1. Die Kunst unter Kyros und Kambyses.
Als nach dem Falle Babylons (538 v. Ehr.) ganz Vorderasien dem großen Perserkönig
Kyros zu Füßen lag und nach der Eroberung von Memphis (525 v. Ehr) das heilige Nilland
sich Kambyses, dem Sohne des Kyros, unterwarf, war die Vorherrschaft der arischen Rasse aus
dem Erdball entschieden. Seit der Zeit dieser Achämenidenherrscher tritt auch die persische Kunst
in den Gesichtskreis der Forschung. Dieser verhältnismäßig jungen Kunst fehlt es nicht an
Pracht und Würde; aber sie war noch weiter entfernt davon, eine Volkskunst zu sein, als die
Kunst Ägyptens und Mesopotamiens, die, wenn auch hauptsächlich von den Herrschern gepflegt,
doch auf nationalem Boden erwuchs und weite Schichten des Volkes ergriff. Die altpersische
Kunst ist vielmehr nur die künstliche amtliche Kunst eines stolzen und erfolgreichen Herrscher-
geschlechts, das den Ehrgeiz hatte, es auch auf dem Gebiete der höheren Gesittung den besiegten
Völkern gleichzuthun. Kein Wunder daher, daß ihre Schwingen sofort erlahmten, als die Siege
Alexanders des Großen die persische Herrscherherrlichkeit vernichtet hatten. In einem Zeitraum
von zweihundert Jahren (550—330) entwickelt, verblüht, gewaltsam vernichtet, gehört die Per-
serkunst thatsächlich nur wenigen Geschlechtern an.