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Woermann, Karl
Die Kunst der christlichen Völker vom 16. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts — Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker, Band 3: Leipzig, Wien: Bibliograph. Inst., 1911

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316 Zweites Buch. Die Kunſt des 17. Jahrhunderts.

Vaterſtadt mit elf großen Legendenbildern. Am bekannteſten ſind „die Speiſung der Kloſter-
armen“ in der Madrider Akademie, die köſtliche „Engelküche“ mit dem myſtiſch ſchwebenden hl.
Diego im Louvre und der tiefempfundene „Tod der hl. Klara“, an deren Sterbebett Chriſtus,
Maria und heilige Jungfrauen erſcheinen, in Dresden. Die Verbindung des volkstümlich
Realiſtiſchen mit dem überirdiſch Viſionären verleiht gleich dieſen frühen, wirklich noch etwas
trocken gemalten und ſchwergetönten Gemälden des Meiſters ihre eigenartige Bedeutung.

Wie viel weicher, farbenfriſcher und ausdrucksvoller erſcheinen Murillos Bilder von 1655,
die beiden mit lebensvollen Bildniszügen bekannter Geiſtlicher ausgeſtatteten Geſtalten der
Heiligen Iſidro und Leander in der Kathedrale von Sevilla und die häuslich liebenswürdige,
farbig blühende „Geburt Marias“ im Louvre! Die Englein des Himmels, die es Murillo
angetan hatten, tanzen hier einen Reigen in viſionärem Lichtglanz über der Neugeborenen.

Noch ſonniger ſtrahlt die berühmte „Viſion des hl. Antonius“ von 1656 in der Kathe-
drale von Sevilla. Dem in der Kloſterzelle knieenden Heiligen öffnet ſich in warmem Gold-
licht die ganze, von kleinen unbekleideten und großen bekleideten Engeln erfüllte Himmels-
herrlichkeit, aus der der kleine Jeſusknabe in ſeine ausgebreiteten Arme hinabeilt. Raum
und Licht, Formen und Farben wirken hier berauſchend zuſammen. /

Wie Murillo abermals neun Jahre ſpäter empfand, zeigen ſeine 1665 vollendeten Ge-
mälde aus Santa Maria la Blanca in Sevilla. Monumental angeordnet und glühend ge-
färbt erſcheinen die beiden Bilder der Madrider Akademie, die die Gründung der Kirche Santa
Maria Maggiore in Rom ſchildern, das Nachtſtück des „Traumes des Patriziers“ und das
ſonnige Prozeſf ſionsbild mit dem Stifterpaar zu Füßen des Papſtes. Ganz von himmliſchem
Lichtglanz erfüllt aber iſt die Darſtellung der unbefleckt Empfangenen (Concepeion) mit den
ſechs verehrenden Geiſtlichen zu ihren Füßen im Louvre. Die Anordnung iſt hier geiſtvoller,
die Umriſſe ſind weicher, die Malweiſe iſt flüſſiger, die Farbenakkorde ſind klarer geworden.

Zwiſchen 1670 und 1674 entſtand die berühmte Bilderfolge des Caridad-Hoſpitals in
Sevilla. Noch an ihrem alten Platze befinden ſich dort die beiden mächtigen, figurenreichen
Breitbilder, die die Löſchung des Durſtes der Israeliten in der Wüſte durch Moſes' Zauber-
ſtab und die Stillung des Hungers der Fünftauſend durch die Fiſche und Brote des Hei-
landes mit lichtvoller Maſſenbeherrſchung und volkstümlichen Einzelvorgängen darſtellen.
Auch das Bild des San Juan de Diös als Krankenträger iſt in der Caridad geblieben. In
Petersburg aber befindet ſich die Befreiung Petri aus dem Gefängnis; und die Madrider
Akademie beſitzt die berühmte, ſo menſchlich verſtändliche, ſo edel umriſſene und doch ſo un-
mittelbar erſchaute Krankenpflege der hl. Eliſabeth. Alle dieſe Caridadbilder ſind weicher, ver-
ſchwimmender behandelt als die älteren Schöpfungen Murillos.

Eine beinahe ſinnliche Glut der Glaubensinbrunſt atmen dann die Viſionen der großen,
von duftigem Helldunkel erfüllten Bilderfolge, die Murillo 1674 — 76 fürs Kapuzinerkloſter
in Sevilla malte. Der köſtliche Schutzengel, der einen Knaben an der Hand führt, iſt in die
Kathedrale zu Sevilla gekommen. Nicht weniger als 17 Bilder dieſer Folge aber gehören zu
den Schätzen des Sevillaner Muſeums: von den Konzeptionen die Darſtellung der Gebenedeiten
mit den Engelknäblein, die einen Spiegel halten, und eine zweite, kindlichere, über der Gott-
Vater ſeine Arme ausbreitet, von den Heiligenviſionen beſonders das Chriſtkind in den Armen
des an ſeinem Betpult knieenden hl. Antonius und der Gekreuzigte, feurig b vom hl.
Franziskus, zu dem er ſich hinabneigt.

Fiuür ſein altes Franziskanerkloſter malte Murillo um dieſe Zeit die machtwolf te fe
 
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