Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Woermann, Karl
Die Kunst der christlichen Völker vom 16. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts — Geschichte der Kunst aller Zeiten und Völker, Band 3: Leipzig, Wien: Bibliograph. Inst., 1911

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/woermann_geschichte_kunst_zeiten_voelker1911bd3/0624

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
508 Drittes Buch. Die Kunſt des 18. Jahrhunderts.

zeitgemäße, helle Behandlung der Luft und des Lichtes auszeichnen, lernt man vortrefflich im
Amſterdamer Reichsmuſeum kennen. Die ſieben Vorſteher des Arztekollegiums (17240, der
Anatomieunterricht des Profeſſors Roöll (1728), die acht Regenten des Waiſenhauſes (1729)
und die drei Leiter der Chirurgengilde (1731) ſtehen hoch über den Durchſchnittsleiſtungen
ihrer Zeit. Die Gruppe der vier Kinder, die ſich mit einem Affchen in einem Garten ergehen
(1723), blickt friſch und natürlich drein. Sein Selbſtbildnis und ſein Knieſtück des Iſaak
Sweers ſind ſprechende Einzelbildniſſe des Reichsmuſeums. Sein lebensgroßes Knieſtück eines
Herrn beim Frühſtück vor violettem Wandgrunde in Schwerin (1740) ſpiegelt deutlich das
Farbengefühl ſeiner Zeit wider. Seine „Wochenſtube“ in Rotterdam iſt ein fein beobachtetes,
humorvolles Bildchen. Die ſatiriſch angehauchten Paſtell⸗ und Guaſchbilder des Meiſters,
die meiſt bekannte Luſt⸗ und Singſpielſzenen feſthalten, lernt man am beſten im Haager Mu-
ſeum kennen. Reizend ſind die „Epiphaniasſänger“ und die „Hochzeit von Kloris und Roosje“.
Packend beziehungsreich ſchildern die fünf Sittenbilder „NELRL“ (1740; Abb. S. 507) die
Zuſammenkunft von ſechs befreundeten Männern bei „Biberius“. Stumpfſinnig ſitzen ſie an-
fangs da, bis der Wein ihnen die Zunge löſt und ſie ſchließlich überwältigt. Die Bilder leiten von
Steen (S. 395) zu Hogarth (S. 491) hinüber. Die Technik, in der Paſtell und Aquarell ſich
miſchen, iſt ebenſo geiſtreich wie die ſcharfe Beobachtung, Auffaſſung und Wiedergabe des Lebens.

Im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert ſteht in Holland kein namhafter Neu-
klaſſiziſt. Hatte hier der franzöſierende Klaſſizismus Adriaen van der Werffs dem Neuklaſſizis-
mus doch auch ſchon ſeine Hauptzüge vorweggenommen. Aber der Umſchwung zu erneuter
ſchlichter Naturbeobachtung ſpricht ſich hier in den landſchaftlichen Tierſtücken Kobells mit
ähnlicher Deutlichkeit aus wie in den belgiſchen Tierlandſchaften Ommegancks (S. 505). Auch
Kobell lehnt ſich offenſichtlich an Potter an; aber auch er verſteht, wie ſchon ſeine Bilder im
Amſterdamer Reichsmuſeum zeigen, das hart eindringliche Naturgefühl ſeiner Zeit mit ſelb-
ſtändigem, vielleicht mehr plaſtiſchem als maleriſchem Empfinden zu verkörpern. Erſt im
Laufe des 19. Jahrhunderts fand die holländiſche Malerei ſich in ihren alten Gleiſen wieder.

VII. Die deutſche Runſt des 18. Jahrhunderts.
1. Vorbemerkungen. — Die deutſche Baukunſt des 18. Jahrhunderts.

Im 18. Jahrhundert erwachte Deutſchland aus ſeinem Schlummer. In der Muſik und
der Dichtkunſt ſchwang es ſich zu den höchſten Höhen empor. In der äſthetiſchen und kunſt-
geſchichtlichen Forſchung ſtellte es ſich mit an die Spitze der Bewegung. In der Ausübung
der bildenden Künſte bewegte es ſich freilich noch im Schlepptau der Italiener und Fran-
zoſen; aber es bewegte ſich doch. Galt ein deutſcher Maler, Anton Raphael Mengs, doch viel-
fach, wenn auch mit Unrecht, für den größten Maler des 18. Jahrhunderts. Lenkten andere
gegen Ende dieſes Zeitraums doch wirklich ſelbſtändig in neue Bahnen ein. Vor allem
aber nahm die Baukunſt Deutſchlands ſchon im erſten Drittel des Jahrhunderts einen Auf-
ſchwung, der die Rückkehr der ſchöpferiſchen Kräfte unſeres Landes beſtätigte. Dem deutſchen
Boden entſproſſen damals ſo viele prächtige Schlöſſer weltlicher und geiſtlicher Fürſten, palaſt-
artige Klöſter und weiträumige Kirchen wie kaum einem anderen Lande. Die Zerſplitterung
Deutſchlands in unzählige Kleinſtaaten begünſtigte das Aufflammen verſchiedener Bildungs-
herde; und jedem Höſchen galt es als Pflicht der Selbſterhaltung, wenigſtens auf dem Ge-
biete der Baukunſt mit dem tonangebenden franzöſiſchen Hofe zu wetteifern.
 
Annotationen