Der neufranzöſiſche Barockſtil. 555
wie Daviouds „Fontaine Saint Michel“ (1860), ſchwelgen in wirklichem Barock. Gabriel
Davioud (182381) war überhaupt einer der älteſten und tüchtigſten Förderer dieſes Stiles.
Auf jenen Brunnen folgten 1861— 62 das Theatre lyrique und das Theöätre du Chätelet.
Selbſtändiger geſtaltete er in Gemeinſchaft mit Jules Déſiré Bourdais (geb. 1835) für
die Ausſtellung von 1878 das Palais du Trocadeéro, deſſen Mittelbau ſich in mächtigem
Halbrund ausgebaucht zwiſchen zwei ſchlanken Türmen über der Seine erhebt. Der Haupt-
meiſter des halbklaſſiziſtiſchen neufranzöſiſchen Barocks aber, deſſen Einfluß ſich raſch in Europa
verbreitete, war Charles Garnier (1825—98); und Garniers Hauptſchöpfung, die Große
Oper in Paris (1861—74; Taf. 48, Abb. 2), die ihrer Grundfläche nach das größte
Theater der Welt iſt, wirkte vorbildlich weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Bewun-
dernswert iſt die reichgegliederte innere Raumgeſtaltung mit dem herrlichen Hauptſaal, über
dem ſich die Flachkuppel wölbt, und dem großartigen Treppenhauſe, das alle Stockwerke in
farbiger Marmorpracht zuſammenfaßt. Bewundernswert iſt aber auch der äußere Aufbau
mit dem ſchlichten, von Rundbogen durchbrochenen Erdgeſchoß, dem üppig eingeteilten, mit
korinthiſchen Säulenpaaren geſchmückten Obergeſchoß und dem abſchließenden Bühnengiebel,
der hinter der in ihn eingezeichneten Kuppel aufragt. Der reichſte plaſtiſche und maleriſche
Schmuck ſchmiegt ſich dieſen Bauformen wie mitgeboren an. In noch barockeren, doch immer
edel abgemeſſenen Formen erheben ſich dann Garniers Theater und Kaſino zu Monte Carlo.
Im Sinne Garniers und Daviouds wirkten Baumeiſter wie J. Ch. Alphand (1817—
1891), der unter dem Präfekten Eugene Haußmann (1809 — 91) die ſchonungsloſe Nieder-
legung mancher alten Gaſſen und Plätze der Hauptſtadt durchführte, aber auch jene neuen
Straßenzüge ſchuf, die der Seineſtadt Luft und Licht verſchafften, wie Leon Ginain (1825
bis 1898), der Schüler Labrouſtes, der die ſtattliche Kirche Notre⸗Dame⸗des⸗Champs und das
üppige, von koſtbaren Materialien ſtrotzende Palais (Muſeum) der Herzogin von Galliera
erbaute, wie Henri Blondel (um 1821—97), der den alten, zur Handelsbörſe umgebauten
Rundſaal der Getreidehalle mit prachtvoller Weſtfaſſade ausſtattete. Dagegen wußte Paul
Sedille (1836 —1900) in ſeinem großen Warenhauſe des „Magazin du Printemps“ (1881)
die Eiſenkonſtruktion mit farbigem Steingewande zu umhüllen und die Weltausſtellungen von
1878 und 1889 mit Prachtbauten im üppigſten Zeitſtil zu ſ chmücken. Der Weltausſtellung
von 1889 entſprang aber auch das höchſte Bauwerk der Welt, der 300 Meter hohe, vom
Ingenieur Guſtave Eiffel (geb. 1843) ganz aus Eiſen errichtete Eiffelturm, der, in edlen
großen Linien anſteigend, durch die Folgerichtigkeit in der Anwendung metalliſcher Formen einen
Triumph des Eiſenbaues bedeutet, aber, als Monumentalbau angeſehen, doch nur als kahles
Gerüſt und Gerippe über dem flutenden Leben der Weltſtadt aufragt. Überbleibſel der Welt-
ausſtellung von 1900 hingegen ſind Deglanes großes und Giraults kleines Palais des Beaux
Arts, die immer noch dem eindrucksvollen, klaſſiziſtiſchen Barockſtil des Opernhauſes huldigen.
Daß für Nutzbauten, wie Schulen und Privathäuſer, im Gegenſatze dazu der alte Backſteinſtil mit
Hauſteinverbrämungen in kühler nordiſcher Renaiſſance wieder aufkam, zeigen z. B. Trains Col-
lege Chaptal am Boulevard des Batignolles und Vaudremers Lycbe am Boulevard de Vaugirard.
Seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts entglitt der Pariſer Baukunſt die Vor-
herrſchaft, die ſie auf dem Feſtlande ein Menſchenalter lang wieder einmal ausgeübt hatte.
Die Grundſätze einer neuen Baukunſt, die ſich, ohne Rückgriff auf hiſtoriſche Kunſtformen, nur
an den Zweckformen und den durch das Material bedingten Geſetzen der Maſſenverteilung und
der ſymmetriſchen und rhythmiſchen Gliederung entwickelt, ſind außerhalb Paris' ausgebildet
wie Daviouds „Fontaine Saint Michel“ (1860), ſchwelgen in wirklichem Barock. Gabriel
Davioud (182381) war überhaupt einer der älteſten und tüchtigſten Förderer dieſes Stiles.
Auf jenen Brunnen folgten 1861— 62 das Theatre lyrique und das Theöätre du Chätelet.
Selbſtändiger geſtaltete er in Gemeinſchaft mit Jules Déſiré Bourdais (geb. 1835) für
die Ausſtellung von 1878 das Palais du Trocadeéro, deſſen Mittelbau ſich in mächtigem
Halbrund ausgebaucht zwiſchen zwei ſchlanken Türmen über der Seine erhebt. Der Haupt-
meiſter des halbklaſſiziſtiſchen neufranzöſiſchen Barocks aber, deſſen Einfluß ſich raſch in Europa
verbreitete, war Charles Garnier (1825—98); und Garniers Hauptſchöpfung, die Große
Oper in Paris (1861—74; Taf. 48, Abb. 2), die ihrer Grundfläche nach das größte
Theater der Welt iſt, wirkte vorbildlich weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Bewun-
dernswert iſt die reichgegliederte innere Raumgeſtaltung mit dem herrlichen Hauptſaal, über
dem ſich die Flachkuppel wölbt, und dem großartigen Treppenhauſe, das alle Stockwerke in
farbiger Marmorpracht zuſammenfaßt. Bewundernswert iſt aber auch der äußere Aufbau
mit dem ſchlichten, von Rundbogen durchbrochenen Erdgeſchoß, dem üppig eingeteilten, mit
korinthiſchen Säulenpaaren geſchmückten Obergeſchoß und dem abſchließenden Bühnengiebel,
der hinter der in ihn eingezeichneten Kuppel aufragt. Der reichſte plaſtiſche und maleriſche
Schmuck ſchmiegt ſich dieſen Bauformen wie mitgeboren an. In noch barockeren, doch immer
edel abgemeſſenen Formen erheben ſich dann Garniers Theater und Kaſino zu Monte Carlo.
Im Sinne Garniers und Daviouds wirkten Baumeiſter wie J. Ch. Alphand (1817—
1891), der unter dem Präfekten Eugene Haußmann (1809 — 91) die ſchonungsloſe Nieder-
legung mancher alten Gaſſen und Plätze der Hauptſtadt durchführte, aber auch jene neuen
Straßenzüge ſchuf, die der Seineſtadt Luft und Licht verſchafften, wie Leon Ginain (1825
bis 1898), der Schüler Labrouſtes, der die ſtattliche Kirche Notre⸗Dame⸗des⸗Champs und das
üppige, von koſtbaren Materialien ſtrotzende Palais (Muſeum) der Herzogin von Galliera
erbaute, wie Henri Blondel (um 1821—97), der den alten, zur Handelsbörſe umgebauten
Rundſaal der Getreidehalle mit prachtvoller Weſtfaſſade ausſtattete. Dagegen wußte Paul
Sedille (1836 —1900) in ſeinem großen Warenhauſe des „Magazin du Printemps“ (1881)
die Eiſenkonſtruktion mit farbigem Steingewande zu umhüllen und die Weltausſtellungen von
1878 und 1889 mit Prachtbauten im üppigſten Zeitſtil zu ſ chmücken. Der Weltausſtellung
von 1889 entſprang aber auch das höchſte Bauwerk der Welt, der 300 Meter hohe, vom
Ingenieur Guſtave Eiffel (geb. 1843) ganz aus Eiſen errichtete Eiffelturm, der, in edlen
großen Linien anſteigend, durch die Folgerichtigkeit in der Anwendung metalliſcher Formen einen
Triumph des Eiſenbaues bedeutet, aber, als Monumentalbau angeſehen, doch nur als kahles
Gerüſt und Gerippe über dem flutenden Leben der Weltſtadt aufragt. Überbleibſel der Welt-
ausſtellung von 1900 hingegen ſind Deglanes großes und Giraults kleines Palais des Beaux
Arts, die immer noch dem eindrucksvollen, klaſſiziſtiſchen Barockſtil des Opernhauſes huldigen.
Daß für Nutzbauten, wie Schulen und Privathäuſer, im Gegenſatze dazu der alte Backſteinſtil mit
Hauſteinverbrämungen in kühler nordiſcher Renaiſſance wieder aufkam, zeigen z. B. Trains Col-
lege Chaptal am Boulevard des Batignolles und Vaudremers Lycbe am Boulevard de Vaugirard.
Seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts entglitt der Pariſer Baukunſt die Vor-
herrſchaft, die ſie auf dem Feſtlande ein Menſchenalter lang wieder einmal ausgeübt hatte.
Die Grundſätze einer neuen Baukunſt, die ſich, ohne Rückgriff auf hiſtoriſche Kunſtformen, nur
an den Zweckformen und den durch das Material bedingten Geſetzen der Maſſenverteilung und
der ſymmetriſchen und rhythmiſchen Gliederung entwickelt, ſind außerhalb Paris' ausgebildet