388 DER STAHLHOF.
Es fpricht zu Gunften unferes Meifters, wenn man in diefer Hinficht
feine Schöpfung mit dem Triumphwagen Maximilian's von Dürer vergleicht.
Deffen prachtvolle Compofition verräth zu fehr, dafs fie nach einem von
anderer Seite aufgenöthigten Programm gemacht ift. Die Geftalten, welche
den fitzenden Kaifer umgeben, find ohne Erläuterung überhaupt nicht
verftändlich, und fchon diefe unmittelbare Zufammenftellung der realen
Perfönlichkeit aus der Gegenwart mit den allegorifchen Figuren ift be-
denklich. Wo Holbein den allegorifchen Gehalten hihorifche gefeilt, ge-
hören fie einem fernen Alterthum an und können fich leicht mit jenen
in einer idealen Welt zufammenfinden. In formaler Hinficht hatte Dürer
fich hier in folchem Grade wie bei keinem andern Werke auf den Boden
der Renaiffance gehellt. Das Studium, welches er hier entfaltet, die
theoretifche Sicherheit, das künftlerifche Wiffen find aufserordentlich. Und
doch bleiben jene Erfcheinungen uns kalt und fremd, während diejenigen
Gehalten, welche Dürer ganz aus der vaterländifchen Anfchauung heraus
erfinnt und im heimatlichen Gewände, in deutfcher Haltung und Art auf-
treten läfst, uns trotz aller Härten, Ecken und Seltfamkeiten lieb und
innig befreundet find.
Dagegen Holbein in den Bildern des Stahlhofes! — »In Hinficht des
künftlerifchen Stils« — fagt Waagen treffend 9 — »ftehen diefe Com-
pofitionen mitten inne zwifchen Mantegna und Raphael. Kein anderes
feiner Werke ift in folchem Grade geeignet darzuthun, dafs Holbein der
Meifter gewefen ift, in dem allein die deutfche Kunft die freien Formen
des Cinquecento erreichte.« — In ftiliftifcher und formaler Hinficht ftehen
die Bilder in der That auf dem Boden, welchen Andrea Mantegna be-
reitet hat. Im Studium feiner Werke, namentlich feines Triumphzuges
des Cäfar, hat der deutfche Meifter die Grundgefetze des Aufbaues und
der rhythmifchen Bewegung gelernt, hat er Vorbilder für jenen freien,
anmuthigen Faltenwurf gefunden, der uns hier in dem durchgängig idealen
Coftüm, namentlich bei den Frauengeftalten entzückt. Jenes Mufter endlich
war beftimmend für die fchon von Mander als fehr verftändig gepriefene
Wahl des Augenpunktes in der Linie der Bafis, wie wir fie auch bei
andern Werken unferes Meifters, namentlich den Orgelthüren, finden.
Während Holbein in früherer Zeit meift fehr kurze Figuren mit grofsen
Köpfen anwendet, ift er auch über diefe Einfeitigkeit jetzt hinausge-
kommen; die Geftalten find fchlanker und wohl proportionirt, und die
Freiheit in Auftreten und Bewegung, die feine Bildungen immer zeigten,
neigt fich hier nicht der Derbheit zu, fondern ift mit ächter Grazie ver-
mählt. So kommt er in der That, vom Stil Mantegna's ausgehend, durch
eigene Kraft und ohne durch feine Umgebung getragen zu fein, dem Stil
9 Treafures IV. S. 36.
Es fpricht zu Gunften unferes Meifters, wenn man in diefer Hinficht
feine Schöpfung mit dem Triumphwagen Maximilian's von Dürer vergleicht.
Deffen prachtvolle Compofition verräth zu fehr, dafs fie nach einem von
anderer Seite aufgenöthigten Programm gemacht ift. Die Geftalten, welche
den fitzenden Kaifer umgeben, find ohne Erläuterung überhaupt nicht
verftändlich, und fchon diefe unmittelbare Zufammenftellung der realen
Perfönlichkeit aus der Gegenwart mit den allegorifchen Figuren ift be-
denklich. Wo Holbein den allegorifchen Gehalten hihorifche gefeilt, ge-
hören fie einem fernen Alterthum an und können fich leicht mit jenen
in einer idealen Welt zufammenfinden. In formaler Hinficht hatte Dürer
fich hier in folchem Grade wie bei keinem andern Werke auf den Boden
der Renaiffance gehellt. Das Studium, welches er hier entfaltet, die
theoretifche Sicherheit, das künftlerifche Wiffen find aufserordentlich. Und
doch bleiben jene Erfcheinungen uns kalt und fremd, während diejenigen
Gehalten, welche Dürer ganz aus der vaterländifchen Anfchauung heraus
erfinnt und im heimatlichen Gewände, in deutfcher Haltung und Art auf-
treten läfst, uns trotz aller Härten, Ecken und Seltfamkeiten lieb und
innig befreundet find.
Dagegen Holbein in den Bildern des Stahlhofes! — »In Hinficht des
künftlerifchen Stils« — fagt Waagen treffend 9 — »ftehen diefe Com-
pofitionen mitten inne zwifchen Mantegna und Raphael. Kein anderes
feiner Werke ift in folchem Grade geeignet darzuthun, dafs Holbein der
Meifter gewefen ift, in dem allein die deutfche Kunft die freien Formen
des Cinquecento erreichte.« — In ftiliftifcher und formaler Hinficht ftehen
die Bilder in der That auf dem Boden, welchen Andrea Mantegna be-
reitet hat. Im Studium feiner Werke, namentlich feines Triumphzuges
des Cäfar, hat der deutfche Meifter die Grundgefetze des Aufbaues und
der rhythmifchen Bewegung gelernt, hat er Vorbilder für jenen freien,
anmuthigen Faltenwurf gefunden, der uns hier in dem durchgängig idealen
Coftüm, namentlich bei den Frauengeftalten entzückt. Jenes Mufter endlich
war beftimmend für die fchon von Mander als fehr verftändig gepriefene
Wahl des Augenpunktes in der Linie der Bafis, wie wir fie auch bei
andern Werken unferes Meifters, namentlich den Orgelthüren, finden.
Während Holbein in früherer Zeit meift fehr kurze Figuren mit grofsen
Köpfen anwendet, ift er auch über diefe Einfeitigkeit jetzt hinausge-
kommen; die Geftalten find fchlanker und wohl proportionirt, und die
Freiheit in Auftreten und Bewegung, die feine Bildungen immer zeigten,
neigt fich hier nicht der Derbheit zu, fondern ift mit ächter Grazie ver-
mählt. So kommt er in der That, vom Stil Mantegna's ausgehend, durch
eigene Kraft und ohne durch feine Umgebung getragen zu fein, dem Stil
9 Treafures IV. S. 36.