ZWEITER ABSCHNITT.
Die karolingische Epoche.
A. Karl der Grofse und die Kunft.
des fränkifchen Reiches hatte die antike Tradition fich
Werkflätten be-
Aufleben der j
Bildung.
uf dem Boden
vollftändig erfchöpft, als Karl der Grofse zur Regierung kam. Aberder
asS perfönliche Wille des grofsen Herrfchers, dem einfichtige Männer geift-
lichen Standes zur Seite wirkten, fetzte der Verwilderung ein Ziel 1). Mit vollem
Bewufstfein wurde das claffifche Alterthum wieder als Quelle alles Wiffens
und Könnens aufgefafst. Italien lag zu den Füfsen des Frankenkönigs, der
hier ein neues Kaiferthum aufrichtete. Rom und Ravenna boten dem er-
nannten Auge der Franken den Glanz der altchrifllichen Monumente, ihre
Säulenpracht, ihre Mofaiken dar; auch die Werke des claffifchen Alterthums
wurden wieder ein Gegenftand der Bewunderung oder der ehrfurchtsvollen
Scheu. Die Luft des Sammelns erwachte, Koftbarkeiten, Kunftwerke, Hand-
fchriften wurden aus Italien bezogen, antike Gemmen, Münzen und Gefäfse
in edlem Metall fowie orientalifche Teppiche waren beliebte Luxusgegenftände
und wurden zu Gefchenken verwendet. Der Volksunterricht und die gelehrten
Studien, welche auf der Literatur des Alterthums fufsten, unterflützten die
künftlerifchen Beftrebungen. Wie aber Karl die heimifche Tracht und Sitte
pflegte, die deutfchen Volkslieder fammelte, fo wurden in feiner Zeit auch
die Formen und Elemente des volksthümlichen Kunftgefchmackes cultivirt.
Die Baukunft, der Erzgufs, die verfchiedenften Techniken der Plaftik, der
Malerei und des Kunftgewerbes wurden betrieben. Grofse
(landen in der Refidenzftadt Aachen, das von Dichtern als ein zweites Rom
gefeiert ward; ihre Leitung lag in der Hand des gelehrten, in den mannig-
faltigften Techniken erfahrenen Einhart, der in der höfifchen Akademie den
Beinam Befeleel, nach dem Erbauer der Stiftshütte, führte, und neben dem auch
zahlreiche kunfterfahrene Geiflliche, wie der Abt Anfigifus von Fontanelle,
l) Eine vorzügliche Darftellung der karolingifchen Kunft in der 2. Auflage von Schnaufe Bd. III;
dort weitere Angaben über Gefchichtsquellen und Literatur. Fiorillo's Gefchichte der zeichnenden
Künfte in Deutfchland und in den vereinigten Niederlanden, Hannover 1815, ift noch immer wegen
der Auszüge aus den Gefchichtsquellen werthvoll.
Die karolingische Epoche.
A. Karl der Grofse und die Kunft.
des fränkifchen Reiches hatte die antike Tradition fich
Werkflätten be-
Aufleben der j
Bildung.
uf dem Boden
vollftändig erfchöpft, als Karl der Grofse zur Regierung kam. Aberder
asS perfönliche Wille des grofsen Herrfchers, dem einfichtige Männer geift-
lichen Standes zur Seite wirkten, fetzte der Verwilderung ein Ziel 1). Mit vollem
Bewufstfein wurde das claffifche Alterthum wieder als Quelle alles Wiffens
und Könnens aufgefafst. Italien lag zu den Füfsen des Frankenkönigs, der
hier ein neues Kaiferthum aufrichtete. Rom und Ravenna boten dem er-
nannten Auge der Franken den Glanz der altchrifllichen Monumente, ihre
Säulenpracht, ihre Mofaiken dar; auch die Werke des claffifchen Alterthums
wurden wieder ein Gegenftand der Bewunderung oder der ehrfurchtsvollen
Scheu. Die Luft des Sammelns erwachte, Koftbarkeiten, Kunftwerke, Hand-
fchriften wurden aus Italien bezogen, antike Gemmen, Münzen und Gefäfse
in edlem Metall fowie orientalifche Teppiche waren beliebte Luxusgegenftände
und wurden zu Gefchenken verwendet. Der Volksunterricht und die gelehrten
Studien, welche auf der Literatur des Alterthums fufsten, unterflützten die
künftlerifchen Beftrebungen. Wie aber Karl die heimifche Tracht und Sitte
pflegte, die deutfchen Volkslieder fammelte, fo wurden in feiner Zeit auch
die Formen und Elemente des volksthümlichen Kunftgefchmackes cultivirt.
Die Baukunft, der Erzgufs, die verfchiedenften Techniken der Plaftik, der
Malerei und des Kunftgewerbes wurden betrieben. Grofse
(landen in der Refidenzftadt Aachen, das von Dichtern als ein zweites Rom
gefeiert ward; ihre Leitung lag in der Hand des gelehrten, in den mannig-
faltigften Techniken erfahrenen Einhart, der in der höfifchen Akademie den
Beinam Befeleel, nach dem Erbauer der Stiftshütte, führte, und neben dem auch
zahlreiche kunfterfahrene Geiflliche, wie der Abt Anfigifus von Fontanelle,
l) Eine vorzügliche Darftellung der karolingifchen Kunft in der 2. Auflage von Schnaufe Bd. III;
dort weitere Angaben über Gefchichtsquellen und Literatur. Fiorillo's Gefchichte der zeichnenden
Künfte in Deutfchland und in den vereinigten Niederlanden, Hannover 1815, ift noch immer wegen
der Auszüge aus den Gefchichtsquellen werthvoll.