Die italienifchen Meifter. A. Die Italiener mit Ausnahme der Venezianer.
I I
In Urbino, der Geburtsftadt Raphaels, erblickte einige Jahre nach deffen UrbP^ten
Tode ein Künftler das Licht der Welt, den feine Zeitgenoffen den gröfsten
Meiftern gleichftellten: Federigo Baroccio,]) genannt Fiori da Urbino, geb. g^occlo.
1528, gell. 1602 in feiner Vaterftadt. Durch verfchiedene Lehrer gebildet,
von denen der römifch gewordene Venezianer Battista Franco den gröfsten Ruf
hat, entwickelte er feinen Stil vornehmlich durch Copiren der Werke Tizians,
Raphaels und Correggios. Der Manier des letzteren wandte er fich fchliefslich
in folchem Mafse zu, dafs er als der mittelitalienifche Correggio gepriefen wurde.
NochLanzi1 2) wollte ihn nicht zu den Manieriften, fondern zu den Reformatoren
der Kunft gezählt wiffen; und in der That zeichnen feine Gemälde fich vor
vielen anderen jener Tage durch die Natürlichkeit ihrer auf gründlichen Modell-
ftudien beruhenden Formen, durch die harmonifche Abrundung ihrer Linien-
und Farben-Compofition und durch die Lebendigkeit ihrer Darftellung geiftiger,
felbft ekftatifcher Effecte aus. Correggesk wirkt er durch manche Eigenthüm-
lichkeit feiner Formenfprache, z. B. durch die gefchickte Handhabung der Ver-
kürzungen, mehr aber noch durch fein Helldunkel, welches oft durch den vifionären
Gegenftand, den er darftellt, bedingt ift. Den Manieriften gehört er aber
doch nicht nur feiner Lebenszeit nach, fondern auch wegen feiner Nach-
empfindung einer ihm urfprünglich fremden Manier an, die feinen Typen und
Geftalten etwas gleichförmiges, feinem Kolorit etwas decorativ gemachtes, feinem
Ausdruck, fo verzückt feine Heiligen oft dreinfchaun, etwas äufserliches verleiht. ,Sein.e
0 . e Hiftorien-
Realiftifche Motive gelingen ihm oft noch am beften, fo z. B. die Kinderfcenen bilder,
auf dem grofsen Bilde der Madonna als Fürfprecherin der Hilflofen in den
Uffizien zu Florenz. Diefes Bild gehört überhaupt zu feinen beften Werken.
Ihm reihen die Kreuzigung im Dom von Genua, die Abnahme vom Kreuze im
Dom zu Perugia, die Grablegung in S. Croce zu Sinigaglia, das von ihm felbft
meifterhaft radirte, fehr effectvolle Bild der Franziskanerkirche feiner Vater-
ftadt, welches eine Vifion des heiligen Franz darftellt (Fig. 429), fowie die
Stigmatifirung diefes Heiligen in der Kapuzinerkirche zu Urbino fich an. Sein ein-
ziges mythologifch-hiftorifches Gemälde befindet fich in der Galerie Borghefe
zu Rom und ftellt die Zerftörung Troja’s dar. Selten, aber vortrefflich find
feine Bildniffe: charakteriftifch ift dasjenige des Herzogs Francesco Maria II, SeWffBild'
von Urbino, jetzt in den Uffizien zu Florenz. Uebrigens find feine Bilder in den
meiften nordifchen und italienifchen Sammlungen zu finden. Dreimal findet fich
die hübfche Darftellung Chrifti als Gärtner: im Pal. Corfini zu Rom, in den
Uffizien zu Florenz und in der Münchener Pinakothek. Auch in der Dresdener
Galerie befinden fich, neben Copien nach der Grablegung Chrifti und der Stig-
matifirung des heiligen Franz, einige Originalgemälde feiner Hand.
Baroccio’s Wirkfamkeit gehörte zum Theil Rom an. Hier herrfchte auch nie Römer,
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine von einheimifchen Kräften
getragene Kunft; aber zahlreicher, als je vorher, ftrömten befonders gegen Ende
diefes Zeitraums die Künftler ganz Italiens in der ewigen Stadt zufammen3).
1) Hauptquelle, nach Familienpapieren, G. P. Bellori: Le vite etc. Roma 1672, p. 169—196.
2) Storia pittorica (Ed. Baffano 1809) II, p. 147.
3) Zeitgenöffifches Werk über die in Rom arbeitenden Maler (und hauptfächlich auch nur über
ihre in Rom ausgeführten Werke): Giov. Baglione: Le vite etc. Erfte Ausgabe: Rom 1644.
I I
In Urbino, der Geburtsftadt Raphaels, erblickte einige Jahre nach deffen UrbP^ten
Tode ein Künftler das Licht der Welt, den feine Zeitgenoffen den gröfsten
Meiftern gleichftellten: Federigo Baroccio,]) genannt Fiori da Urbino, geb. g^occlo.
1528, gell. 1602 in feiner Vaterftadt. Durch verfchiedene Lehrer gebildet,
von denen der römifch gewordene Venezianer Battista Franco den gröfsten Ruf
hat, entwickelte er feinen Stil vornehmlich durch Copiren der Werke Tizians,
Raphaels und Correggios. Der Manier des letzteren wandte er fich fchliefslich
in folchem Mafse zu, dafs er als der mittelitalienifche Correggio gepriefen wurde.
NochLanzi1 2) wollte ihn nicht zu den Manieriften, fondern zu den Reformatoren
der Kunft gezählt wiffen; und in der That zeichnen feine Gemälde fich vor
vielen anderen jener Tage durch die Natürlichkeit ihrer auf gründlichen Modell-
ftudien beruhenden Formen, durch die harmonifche Abrundung ihrer Linien-
und Farben-Compofition und durch die Lebendigkeit ihrer Darftellung geiftiger,
felbft ekftatifcher Effecte aus. Correggesk wirkt er durch manche Eigenthüm-
lichkeit feiner Formenfprache, z. B. durch die gefchickte Handhabung der Ver-
kürzungen, mehr aber noch durch fein Helldunkel, welches oft durch den vifionären
Gegenftand, den er darftellt, bedingt ift. Den Manieriften gehört er aber
doch nicht nur feiner Lebenszeit nach, fondern auch wegen feiner Nach-
empfindung einer ihm urfprünglich fremden Manier an, die feinen Typen und
Geftalten etwas gleichförmiges, feinem Kolorit etwas decorativ gemachtes, feinem
Ausdruck, fo verzückt feine Heiligen oft dreinfchaun, etwas äufserliches verleiht. ,Sein.e
0 . e Hiftorien-
Realiftifche Motive gelingen ihm oft noch am beften, fo z. B. die Kinderfcenen bilder,
auf dem grofsen Bilde der Madonna als Fürfprecherin der Hilflofen in den
Uffizien zu Florenz. Diefes Bild gehört überhaupt zu feinen beften Werken.
Ihm reihen die Kreuzigung im Dom von Genua, die Abnahme vom Kreuze im
Dom zu Perugia, die Grablegung in S. Croce zu Sinigaglia, das von ihm felbft
meifterhaft radirte, fehr effectvolle Bild der Franziskanerkirche feiner Vater-
ftadt, welches eine Vifion des heiligen Franz darftellt (Fig. 429), fowie die
Stigmatifirung diefes Heiligen in der Kapuzinerkirche zu Urbino fich an. Sein ein-
ziges mythologifch-hiftorifches Gemälde befindet fich in der Galerie Borghefe
zu Rom und ftellt die Zerftörung Troja’s dar. Selten, aber vortrefflich find
feine Bildniffe: charakteriftifch ift dasjenige des Herzogs Francesco Maria II, SeWffBild'
von Urbino, jetzt in den Uffizien zu Florenz. Uebrigens find feine Bilder in den
meiften nordifchen und italienifchen Sammlungen zu finden. Dreimal findet fich
die hübfche Darftellung Chrifti als Gärtner: im Pal. Corfini zu Rom, in den
Uffizien zu Florenz und in der Münchener Pinakothek. Auch in der Dresdener
Galerie befinden fich, neben Copien nach der Grablegung Chrifti und der Stig-
matifirung des heiligen Franz, einige Originalgemälde feiner Hand.
Baroccio’s Wirkfamkeit gehörte zum Theil Rom an. Hier herrfchte auch nie Römer,
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine von einheimifchen Kräften
getragene Kunft; aber zahlreicher, als je vorher, ftrömten befonders gegen Ende
diefes Zeitraums die Künftler ganz Italiens in der ewigen Stadt zufammen3).
1) Hauptquelle, nach Familienpapieren, G. P. Bellori: Le vite etc. Roma 1672, p. 169—196.
2) Storia pittorica (Ed. Baffano 1809) II, p. 147.
3) Zeitgenöffifches Werk über die in Rom arbeitenden Maler (und hauptfächlich auch nur über
ihre in Rom ausgeführten Werke): Giov. Baglione: Le vite etc. Erfte Ausgabe: Rom 1644.