Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Editor]; Woermann, Karl [Editor]
Geschichte der Malerei (Band 3,1) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.48521#0033
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die italienifchen Meifter. B. Die Malerei des venezianifchen Gebietes.

21

Werken entgegentritt, vermochte die ftrengere Richtung der erften Hälfte unferes
Jahrhunderts ihm nur wenig Gefchmack abzugewinnen; in unferer zweiten Hälfte
aber hat er in manchen Künftlerkreifen gerade wegen feines hervorragend
decorativen Talentes wieder einen bedeutenden Modeeinflufs gewonnen. Wurde
er damals unterfchätzt, fo wird er heute zuweilen überfchätzt. Von innen
heraus durchgebildete Charaktere darf man in feinen Werken nicht fuchen,
wenngleich er zu den bedeutendften Bildnifsmalern feiner Schule gehört; nach der
Urfache jedes einzelnen Motivs darf man bei ihm nicht fragen; aber der erftaun.
liehen Schönheit und Grofsartigkeit feiner beften Werke, die ftets Formen- und
Farben-Vifionen zugleich find, werden wir untere volle Anerkennung entgegen-
bringen.
Da Tintoretto feine Bilder nur ausnahmsweife datirt hat und ihr Stil, ab- . Pati™"g
feinerBilder
gefehen von feiner früheften Zeit, kaum einen Anhaltspunkt bietet, fo ift ihre
Chronologie fchwer feftzuftellen; doch werden wir die meiften feiner Einzel-
gemälde in die Zeit vor 1560 zu fetzen haben, da ihn nach diefem Jahre die
Arbeit an zwei grofsen Cyklen, die wir kennen lernen werden, fo gut wie ganz
in Anfpruch nahm.
Die grofsen Fresco-Decorationen, mit welchen er am Anfang feiner Lauf- Seine Faira-
ö ö den-Fresken.
bahn die Aufsenwände venezianifcher Paläfte fchmückte, find faft fpurlos unter-
gegangen1)- Erhalten haben fich aus feiner Frühzeit die beiden herrlichen, FrüheBiider.
Tizian noch nahe flehenden Bilder der Akademie zu Venedig, welche den sfint.Hr_
Sündenfall und den Tod Abels darftellen. Etwa dem Jahre 1546 gehören dann ^Sa. Maria
die beiden gewaltigen Hochbilder im Chor der Kirche Sa. Maria dell’ Orto an,
die an fünfzehn Meter hohen Riefendarflellungen der Anbetung des goldenen
Kalbes und des jüngften Gerichtes. Auf dem erfteren diefer Bilder ift die
Schwierigkeit, die volkreiche Scene, die fich ihrer Natur nach in die Breite hätte
entfalten müffen, fich in die Tiefe des Bildes und in die Höhenrichtung des
Berges Sinai entwickeln zu laffen, doch nur halb gelöft; aber die Einzelgruppen
find von hinreifsender Frifche der Beobachtung und von hoher Schönheit der
Abrundung. Das Gemälde des jüngften Gerichts leitet durch die compacte
Fülle feiner wildverfchlungenen Geftalten von Michelangelos Darftellung desfelben
Gegenftandes zu derjenigen des Rubens hinüber; aber es ift ganz von Tintoretto’s
dämonifcher Eigenart erfüllt. Nicht nur die Erde, fondern auch das Meer fich
aufthun und feine Todten wieder geben zu laffen, war ein genialer Gedanke i
den Weltrichter in die äufserfte P'erne zu rücken, um Spielraum für die Maffen-
entfaltung der Seligen und Verdammten zu gewinnen, war eine Effekthafcherei,
welche den geiftigen Kern der Handlung ungefchickt überwucherte; die gewal-
tigfte Licht- und Schattenwirkung zur Verdeutlichung des überirdifchen Vor-
ganges zu verwerthen, aber war wieder ein glücklicher Griff, durch den das
Bild wenigftens in diefer einen Beziehung, aber auch in keiner anderen, wirklich
einen Fortfehritt gegenüber Michelangelo’s gewaltigem Werke in der fixtinifchen
Kapelle bezeichnete.
In feiner vollen Eigenheit und feinem ganzen Compofitionstalent zeigt den Das Markus-
bilcl in der
- Akademie.
1) Nachbildungen von einigen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhaltenen Retten bei Zanetti,
Varie pitture etc. Venezia 1760. Tav. 10—14.
 
Annotationen