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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Hrsg.]; Woermann, Karl [Hrsg.]
Geschichte der Malerei (Band 3,1) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48521#0123
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V orbem erkunden.

I I I

die vlämifche Kunft ging zwar auf einigen diefer neuer Gebiete ihrer hollän- in Flandern,
difchen Schwerter parallel, fchlug aber im ganzen doch eine andere Richtung
ein, indem fie den alten Inhalt in neue, glänzende und mächtige Formen hüllte
und das Fremde mit dem Einheimifchen, das Romanifche mit dem Germanifchen
zu einem farbenprächtigen Ganzen verfchmolz; die franzöfifche Kunft wurde von in Frank-
1 ° r' . reich,
rtrenger Despotenlaune und abrtractem Gelehrtenthume zu kalter Regelrechtig-
keit oder geräufchvollem Pathos verurtheilt, ohne dafs fie ihren Geift dadurch
in allen Fällen eingebüfst hätte; die fpanifche Kunft brachte einerfeits die in Spanien,
religiöfe Inbrunft mit nie vorher geahnter, faft fanatifcher Energie zum Ausdruck
und erfüllte andererfeits, trotz der fprichwörtlichen Steifheit der fpanifchen Hof-
etikette, gerade die höfifche Bildnifsmalerei mit dem lebendigften Realismus;
die italienifche Kunft des fiebzehnten Jahrhunderts endlich fpiegelt die Zerriffen- 'n Italien,
heit des Landes, dem fie entfproffen, in der Mannichfaltigkeit und Gegenfätz-
lichkeit der hier neben einander hergehenden Richtungen und in der Bitterkeit
wieder, mit der fie fich gegenfeitig befehden.
Ueberhaupt läfst fich kein gemeinfamer Zug der gefammteuropäifchen f
Cultur des fiebzehnten Jahrhunderts leichter nachweifen, als die Schroffheit der Gegensätze.
Gegenfätze, die einander gegenüberftanden und die Leidenfchaftlichkeit, mit der
diefelben oft genug auf blutigen Schlachtfeldern ausgefochten wurden.
Auf der einen Seite ftand Europa unter der Einwirkung der entfchiedenften Die
. . . katholische
katholifchen Kirchenreftauration; je rafcher der Proteftantismus verknöcherte, Kirchen-
defto eifriger fuchte der Katholicismus feiner Lehre durch Erweckung feuriger
Glaubensinbrunft, leidenfchaftlicher Andacht und fchwärmerifcher Ekftafe einen
neuen Inhalt zu verleihen; neue Heilige wurden zu dem Zwecke gefchaffen,
neue Orden geftiftet, neue Fefte gefeiert; die Kirchen, befonders diejenigen der
Jefuiten, erhielten eine verfchwenderifchere Ausftattung, als je; und der Gottes-
dienft würde mit einer Pracht umgeben, welche die Sinne beraufchte. Natürlich
fpielte die Malerei unter den Mitteln, derer die Kirche fich zur Erreichung
ihrer Abfichten bediente, eine Hauptrolle. Nie find mehr und gröfsere Altar-
bilder beftellt worden, als im fiebzehnten Jahrhundert; und nie find die Altar-
gemälde durch ihren Inhalt und durch ihre Ausführung geeigneter gewefen, den
Befchauer, anftatt ihn zu ftiller Andacht anzuregen, in fanatifche Mitleidenfchaft
zu ziehen oder in fchwärmerifche Verzückung zu verfetzen. Die entfetzlichen,
realiftifch aufgefafften Marterfcenen find nur die Kehrfeiten der Schilderung
verklärter Geifteszuftände und leuchtender Himmelsvifionen; diefe ergänzen jene;
und jetzt erft befafs die Malerei die technifche Fähigkeit, diefe wie jene gleich
raffinirt und gleich überzeugend darzuftellen!
Auf der anderen Seite regte fich in ganz Europa ein weit über die Grenzen Freigebige
° o i Kegungen,
des pofitiv gefilmten Proteftantismus hinausgehender Geift freier Forfchung und
unbefangener Naturbeobachtung; und wenn diefe Geiftesmacht auch nicht in
der Lage war, die Malerei, wie der Katholicismus es that, unmittelbar in ihre
Dienfte zu ziehen, fo offenbarte fie fich in der Kunft doch ebenfo gut, wie in
der Philofophie und den Naturwiffenfchaften. Ein urfächlicher Zufammenhang
der Errungenfchaften des Denkens und des Beobachtens auf dem Gebiete der
Wiffenfchaften mit den verwandten Richtungen in der Malerei läfst fich freilich
nicht in jedem einzelnen Falle nachweifen, aber es ift doch gewifs kein Zufall,
 
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