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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Editor]; Woermann, Karl [Editor]
Geschichte der Malerei (Band 3,1) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48521#0124
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I 12

Sechstes Buch. I. Abtheilung.

Kepler’dafs das Jahrhundert, in welchem die Natur wiffenfcliaft unter Galilei, Kepler
Neßaco’ un<^ Newton neu geboren wurde, in welchem Philofophen, wie Baco von Verulam
den Werth echter, durch felbftändige Beobachtung errungener Natur erkenntnifs
Gafsendi. her vorhob en, und in welchem von Forfchern, wie Gafsendi, fogar die moderne
materialiftifche Weltanfchauung vorbereitet wurde, zugleich die Zeit war, in
welcher die Kunftrichtungen, denen die Beobachtung und getreue Wiedergabe
irgend eines beliebigen Stückes der Welt oder des Lebens Selbftzweck war,
aufkamen und bewundert werden konnten — und dafs den pantheiftifchen
Caefaipinus. Lehren eines Andreas Caesalpinus, der Gott bereits die Weltfeele nannte, eines
^•u°no.' Giordano Bruno, der feine Lehre von der göttlichen Beseeltheit des ganzen
Spinoza. Weltalls gerade um 1600 mit dem Feuertode büfsen mufste, und eines Spinoza
felbft, nach dem die ganze Welt der Erfcheinungen nur Lebensäufserungen der
einen Urfubftanz Gott find, auch künftlerifche Schöpfungen parallel gingen, wie
Lamdakrtifts' Landfchaftsgemälde eines Claude Lorrain, Pouf/in oder Salvator Roja, eines
Rubens, Ruis dael oder Hobbema, die uns die Natur mit menfchlichem Empfinden und
mit göttlichem Odem befeelt vor Augen führen und in manchen Beziehungen als
Andachtsbilder einer pantheiftifchen Weltanfchauung angefehen werden könnten.
Nur theilweife Hand in Hand mit jenen grundfätzlichen Gegenfätzen der
Idealismus gefammten Weltanfchauung geht der alte Gegenfatz von »Idealismus« und
Realismus. »Realismus« in der Malerei. Jede echte Kunft hat freilich ihre reale und ihre
ideale Seite; es handelt fich bei diefen Ausdrücken, wenn man fie auf beftimmte
Kunftrichtungen anwendet, daher nur um das Ueberwiegen der einen oder der
anderen Seite, wie wir z. B. der Kunft des fünfzehnten Jahrhunderts im ganzen
einen realiftifchen, der Kunft des fechzehnten Jahrhunderts im ganzen einen
idealiftifchen Charakter zufchreiben; gerade im fiebzehnten Jahrhundert aber
läfst auch die ihren Stoffgebieten nach ideellfte Kunft fich durch den realifti-
fchen Zug der Zeit in ihrer Formenauffaffung und ihrer Ausdrucksweife fo ent-
fchieden mitfortreifsen, dafs es kaum überhaupt noch Meifter giebt, auf welche
man den Ausdruck Idealiften fchlechthin anwenden könnte. Man unterfcheidet
Eklektiker jetzt vielmehr, befonders in der italienifchen Kunft, Eklektiker und Natura-
Naturaiiften. liften, und verlieht unter den erfteren die Meifter, welche mit Bewufstfein auf
den Schultern ihrer grofsen Vorgänger flehen und alle beften Eigenfchaften
der beften von ihnen in fich zu vereinigen und mit erneuten Naturftudien in
Einklang zu bringen fuchen, unter den letzteren aber die Maler, welche, um
alle Vorgänger unbekümmert, nur der Natur und ihrem eignen Genius folgen. Für
die erfteren find jetzt in ganz Europa die zugleich realiftifch angehauchten
oberitalienifchen Coloriften, wie Correggio, Tizian und Paolo Veronefe mafs-
gebender, als Raphael und Michelangelo, welche das fechzehnte Jahrhundert
beherrfcht hatten; und fchon dadurch erklärt fich die realiftifch-coloriftifche
Ader, die auch ihnen fchlägt; unter den letzteren aber find manche Künftler,
die, richtig angefehen, gar nicht fo fchlicht realiftifch find, wie man wohl
annimmt: ihr Ideal ift nur eben ein anderes, als das ihrer Vorgänger.
Rembrandt z. B., der grofse Holländer, der in der Regel als Haupt der
Realiften genannt wird, fteigert die urfprünglich der Natur abgelaufchte
Helldunkelwirkung zu einem coloriftifchen Idealismus, der den Befchauer in
ferne Wunderfphären entrückt und fchliefslich fo gut feine künftlerifche
 
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