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Sechstes Buch. Erfter Abfchnitt.
genügend erklären, ohne dafs wir anzunehmen brauchen, er habe perfönliche
Beziehungen zu diefem Meifter unterhalten; ja, feine malerifche Auffaffung ift
in ihrer warmen, weichen, aber markigen Breite, trotz der gemeinfamen Vor-
liebe für eine gewiße Schwarzmalerei, von der glatten, plaftifchen Schärfe, mit
welcher Caravaggio feine Gehalten hinzufetzen liebte, fo verfchieden, dafs eine
eigentliche Schülerfchaft des jüngeren diefer Meifter bei dem älteren fich
wenigftens aus technifchen Gründen kaum ableiten läfst. In der That ver-
meidet Ribera innerhalb der kräftig-naturaliftifchen Richtung, welcher er huldigt,
die Fehler, von denen wir Caravaggio nicht freifprechen konnten: er fafst die
Charaktere mit der erftaunlichften Schärfe in allen ihren Einzelzügen auf; er
weifs den malerifchen Reiz, der fich nicht nur den jugendfchönen, fondern
auch den alten, verwitterten, von den Unbilden des Lebens durchfurchten
Geflehtem, dem greifen Haar, den wallenden grauen Bärten, den hervortreten-
den Sehnen und Adern abgewinnen läfst, mit der correcteften und doch zu-
gleich keckften und flüffigften Pinfeizeichnung, mit dem wunderbarften, leuch-
tendften Schmelze des Colorits und mit einer genialen Unterordnung unter
die Gefammtwirkung wiederzugeben. Dafs er das Charakteriftifche in manchen
Fällen dem Schönen vorzieht, wenngleich er wirklich fchöne Typen, befonders
fchöne alte Männerköpfe, keineswegs verfchmäht, hat unfere zweite Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts kein Recht mehr zu rügen; dafs er eine befondere
Vorliebe für die Darftellung blutiger Schreckensfcenen habe, wie vielfach be-
hauptet wird, wird niemand, der die Gefammtheit feiner Werke überblickt,
aufrecht erhalten wollen, wenngleich fein Hauptwerk in diefer Richtung, die
Marter des hl. Bartholomäus, der bekanntlich lebendig gefchunden wurde, dem
Gefchmacke der Zeit fo entgegenkam, dafs er es mit einigen Veränderungen
ein halbes Dutzend Mal wiederholen oder wiederholen laffen mufste; dafs er
aber, wie er einerfeits die Ekftafe, die religiöfe Schwärmerei, die weltentrückte
Seligkeit frommer Einfiedler in unzähligen Einzelgeftalten mit ergreifender
Wahrheit dargeftellt hat, fo andererfeits auch die Marterfcenen, welche die
Kirchenvorftände nun einmal gemalt haben wollten, mit dem Ausdruck fana-
tifcher Peinigerwolluft in den Köpfen und Geberden der Henker und mit
realiftifchem Schmerzenspathos in denjenigen der Gemarterten auszuftatten ver-
ftand, darin befteht gerade feine eigenthümliche, dämonifche Gröfse, in welcher er
Bedeitun- uns a^s Künftlerindividualität ganz für fich entgegentritt. Wer fo viel Meifter-
fchaft der malerifchen Technik, wie Ribera fie vor allen Dingen in der leben-
digen, vollen, kühnen und doch weichen Darftellung des nackten Fleifches
zeigt, mit fo viel Leidenfchaft und Selbftändigkeit der geiftigen Empfindung,
wie fie uns aus jedem Werke des Meifters anathmet, zu verbinden weifs, ift
Seine unter allen Umftänden ein Künftler erften Ranges. Dafs Ribera als folcher
Neider. .
Neider hatte, ift felbftverftändlich; und dafs feine Neider den düftern Ernft
mancher feiner Darftellungen nur als Spiegelbild eines finfteren, egoiftifchen
Charakters gelten laffen wollten, ift mindeftens erklärlich. Daher machten die
offenkundig von Ribera’s Gegnern beeinflufsten Berichterftatter, wie Dominici,
ihn zum Mittelpunkte jenes wüften Treibens, welches felbft vor dem Morde
Veriäum- nicht zurückfchreckte, um Meifter wie Guido Reni, Geffi und Domenichino aus
Neapel zu vertreiben; daher liefsen fie ihn, den Spanier, nur zu feinem eigenen
Sechstes Buch. Erfter Abfchnitt.
genügend erklären, ohne dafs wir anzunehmen brauchen, er habe perfönliche
Beziehungen zu diefem Meifter unterhalten; ja, feine malerifche Auffaffung ift
in ihrer warmen, weichen, aber markigen Breite, trotz der gemeinfamen Vor-
liebe für eine gewiße Schwarzmalerei, von der glatten, plaftifchen Schärfe, mit
welcher Caravaggio feine Gehalten hinzufetzen liebte, fo verfchieden, dafs eine
eigentliche Schülerfchaft des jüngeren diefer Meifter bei dem älteren fich
wenigftens aus technifchen Gründen kaum ableiten läfst. In der That ver-
meidet Ribera innerhalb der kräftig-naturaliftifchen Richtung, welcher er huldigt,
die Fehler, von denen wir Caravaggio nicht freifprechen konnten: er fafst die
Charaktere mit der erftaunlichften Schärfe in allen ihren Einzelzügen auf; er
weifs den malerifchen Reiz, der fich nicht nur den jugendfchönen, fondern
auch den alten, verwitterten, von den Unbilden des Lebens durchfurchten
Geflehtem, dem greifen Haar, den wallenden grauen Bärten, den hervortreten-
den Sehnen und Adern abgewinnen läfst, mit der correcteften und doch zu-
gleich keckften und flüffigften Pinfeizeichnung, mit dem wunderbarften, leuch-
tendften Schmelze des Colorits und mit einer genialen Unterordnung unter
die Gefammtwirkung wiederzugeben. Dafs er das Charakteriftifche in manchen
Fällen dem Schönen vorzieht, wenngleich er wirklich fchöne Typen, befonders
fchöne alte Männerköpfe, keineswegs verfchmäht, hat unfere zweite Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts kein Recht mehr zu rügen; dafs er eine befondere
Vorliebe für die Darftellung blutiger Schreckensfcenen habe, wie vielfach be-
hauptet wird, wird niemand, der die Gefammtheit feiner Werke überblickt,
aufrecht erhalten wollen, wenngleich fein Hauptwerk in diefer Richtung, die
Marter des hl. Bartholomäus, der bekanntlich lebendig gefchunden wurde, dem
Gefchmacke der Zeit fo entgegenkam, dafs er es mit einigen Veränderungen
ein halbes Dutzend Mal wiederholen oder wiederholen laffen mufste; dafs er
aber, wie er einerfeits die Ekftafe, die religiöfe Schwärmerei, die weltentrückte
Seligkeit frommer Einfiedler in unzähligen Einzelgeftalten mit ergreifender
Wahrheit dargeftellt hat, fo andererfeits auch die Marterfcenen, welche die
Kirchenvorftände nun einmal gemalt haben wollten, mit dem Ausdruck fana-
tifcher Peinigerwolluft in den Köpfen und Geberden der Henker und mit
realiftifchem Schmerzenspathos in denjenigen der Gemarterten auszuftatten ver-
ftand, darin befteht gerade feine eigenthümliche, dämonifche Gröfse, in welcher er
Bedeitun- uns a^s Künftlerindividualität ganz für fich entgegentritt. Wer fo viel Meifter-
fchaft der malerifchen Technik, wie Ribera fie vor allen Dingen in der leben-
digen, vollen, kühnen und doch weichen Darftellung des nackten Fleifches
zeigt, mit fo viel Leidenfchaft und Selbftändigkeit der geiftigen Empfindung,
wie fie uns aus jedem Werke des Meifters anathmet, zu verbinden weifs, ift
Seine unter allen Umftänden ein Künftler erften Ranges. Dafs Ribera als folcher
Neider. .
Neider hatte, ift felbftverftändlich; und dafs feine Neider den düftern Ernft
mancher feiner Darftellungen nur als Spiegelbild eines finfteren, egoiftifchen
Charakters gelten laffen wollten, ift mindeftens erklärlich. Daher machten die
offenkundig von Ribera’s Gegnern beeinflufsten Berichterftatter, wie Dominici,
ihn zum Mittelpunkte jenes wüften Treibens, welches felbft vor dem Morde
Veriäum- nicht zurückfchreckte, um Meifter wie Guido Reni, Geffi und Domenichino aus
Neapel zu vertreiben; daher liefsen fie ihn, den Spanier, nur zu feinem eigenen