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Sechstes Buch. Zweiter Abfchnitt.
Velazquez
Bildnifs-
malerei.
Velazquez
als Hiftorien-
maler.
die einmal eingefchlagene, ihm allein mögliche Richtung bis zu ihrem letzten
Ziele verfolgen. Er ift der unbefangenfte Künftler Spaniens und einer der
gröfsten Techniker Europas. In feinem malerifchen Vortrag, vielleicht nur in
dem feinen, findet fich keine Spur von Convention, nicht der geringfte Anflug
von Manierirtheit. So wie er malt, meint man, muffe die Natur felbfl malen,
wenn fie es einmal vorzöge, ihre Gebilde auf eine Fläche zu werfen, anftatt fie
in den Raum zu flehen. Raphael Mengs, der grofse deutfche Meiller des doch
fo ganz anders empfindenden vorigen Jahrhunderts, fagte, Velazquez fcheine
feine Werke weniger mit der Hand, als mit dem blofsen Willen gemalt zu
haben: fo unbedingt folgte feine Hand feinem Willen, mit fo ficherem Auge
beherrfchte er das geheimfte Weben der Natur, fo ruhig und wie aus einem
Griffe flehen feine fertigen Bilder da.
Die höchften Triumphe feierte Velazquez mit diefem Naturalismus und diefer
Technik natürlich auf Gebieten, wo er es mit gegebenen Gröfsen zu thun hatte,
wo es nur auf die ruhige Auffaffung und richtige Wiedergabe beflimmter Vor-
bilder ankam, alfo in der Bildnifsmalerei und den verwandten Fächern. Er ift
in der That, wenn nicht der gröfste — fo abfprechend wird die Gefchichts-
fchreibung nicht fein — fo doch einer der wenigen gröfsten Bildnifsmaler aller
Zeiten und Völker; und freilich zeigen gerade feine Bildniffe, wie weit die Thätig-
keit eines grofsen Realiflen und grofsen Technikers, wenn er ein wirklich grofser
Künftler ift, doch von der mechanifchen Abfchrift und V ervielfältigung, die z. B.
der photographifche Apparat auszuführen vermag, entfernt ift; denn, unabhängig
von dem zufälligen Ausdruck, welchen die flüchtige Stunde dem Menfchen verleiht,
hat er Herz und Nieren der Perfonen, die er darftellt, geprüft, hat er ihren ganzen
Charakter, ihre eigenften Lebensgewohnheiten, ihr geheimftes Empfindungsleben
durchfchaut und fafst alle diefe Einzelzüge mit genialer Intuition zu dem Bilde
zufammen, welches er darftellt. Es weht uns daher eine geiftige Atmofphäre
aus diefen Bildern an, die ihnen doch eine gewiße vornehme, niemals aufdring-
liche und phrafenhafte Idealität verleiht.
Verflachte Velazquez fich dagegen auf dem Gebiete der freien Schöpfungen,
der religöfen oder mythologifchen Compofitionen, fo traten in der Regel eigen-
thümliche Gebilde zu Tage, gegen die es, wenn wir nicht ganz von ihrem
Inhalte abfehen, fchwer ift, gerecht zu fein. Befonders gilt dies von den mytho-
logifchen Darflehungen des Meifters, welche manchen Erklären! fo unerklärlich
fchienen, dafs fie an eine abfichtliche humoriftifche Carikirung dachten; und doch
hat Velazquez ficher nichts ferner gelegen, als eine folche Auffaffung. Er trat
eben auch an derartige Stoffe ganz ohne vorgefafste Meinung und hergebrachte
Vorftellung heran und flehte fie mit den Perfonen der ihm zur Verfügung
flehenden, allerdings an fich nichts weniger als idealen Geftaltenwelt dar. Sehen
wir auf Werken diefer Art nur die Figuren in ihrer Haltung innerhalb des
natürlichen Licht- und Lufttones, in ihrer äufserlichen Beziehung zu einander,
und fehen wir dann das Bild auf feine malerifche Gefammtwirkung an, fo werden
wir von der Meifterfchaft ihrer Ausführung fo hingeriffen fein, dafs wir in der
That vergeßen, nach dem Inhalt zu fragen, und einige diefer Werke trotz
ihrer Abfonderlichkeiten zu den herrlichflen Schöpfungen, die aus Farben zu-
fammengefügt worden, rechnen müffen.
Sechstes Buch. Zweiter Abfchnitt.
Velazquez
Bildnifs-
malerei.
Velazquez
als Hiftorien-
maler.
die einmal eingefchlagene, ihm allein mögliche Richtung bis zu ihrem letzten
Ziele verfolgen. Er ift der unbefangenfte Künftler Spaniens und einer der
gröfsten Techniker Europas. In feinem malerifchen Vortrag, vielleicht nur in
dem feinen, findet fich keine Spur von Convention, nicht der geringfte Anflug
von Manierirtheit. So wie er malt, meint man, muffe die Natur felbfl malen,
wenn fie es einmal vorzöge, ihre Gebilde auf eine Fläche zu werfen, anftatt fie
in den Raum zu flehen. Raphael Mengs, der grofse deutfche Meiller des doch
fo ganz anders empfindenden vorigen Jahrhunderts, fagte, Velazquez fcheine
feine Werke weniger mit der Hand, als mit dem blofsen Willen gemalt zu
haben: fo unbedingt folgte feine Hand feinem Willen, mit fo ficherem Auge
beherrfchte er das geheimfte Weben der Natur, fo ruhig und wie aus einem
Griffe flehen feine fertigen Bilder da.
Die höchften Triumphe feierte Velazquez mit diefem Naturalismus und diefer
Technik natürlich auf Gebieten, wo er es mit gegebenen Gröfsen zu thun hatte,
wo es nur auf die ruhige Auffaffung und richtige Wiedergabe beflimmter Vor-
bilder ankam, alfo in der Bildnifsmalerei und den verwandten Fächern. Er ift
in der That, wenn nicht der gröfste — fo abfprechend wird die Gefchichts-
fchreibung nicht fein — fo doch einer der wenigen gröfsten Bildnifsmaler aller
Zeiten und Völker; und freilich zeigen gerade feine Bildniffe, wie weit die Thätig-
keit eines grofsen Realiflen und grofsen Technikers, wenn er ein wirklich grofser
Künftler ift, doch von der mechanifchen Abfchrift und V ervielfältigung, die z. B.
der photographifche Apparat auszuführen vermag, entfernt ift; denn, unabhängig
von dem zufälligen Ausdruck, welchen die flüchtige Stunde dem Menfchen verleiht,
hat er Herz und Nieren der Perfonen, die er darftellt, geprüft, hat er ihren ganzen
Charakter, ihre eigenften Lebensgewohnheiten, ihr geheimftes Empfindungsleben
durchfchaut und fafst alle diefe Einzelzüge mit genialer Intuition zu dem Bilde
zufammen, welches er darftellt. Es weht uns daher eine geiftige Atmofphäre
aus diefen Bildern an, die ihnen doch eine gewiße vornehme, niemals aufdring-
liche und phrafenhafte Idealität verleiht.
Verflachte Velazquez fich dagegen auf dem Gebiete der freien Schöpfungen,
der religöfen oder mythologifchen Compofitionen, fo traten in der Regel eigen-
thümliche Gebilde zu Tage, gegen die es, wenn wir nicht ganz von ihrem
Inhalte abfehen, fchwer ift, gerecht zu fein. Befonders gilt dies von den mytho-
logifchen Darflehungen des Meifters, welche manchen Erklären! fo unerklärlich
fchienen, dafs fie an eine abfichtliche humoriftifche Carikirung dachten; und doch
hat Velazquez ficher nichts ferner gelegen, als eine folche Auffaffung. Er trat
eben auch an derartige Stoffe ganz ohne vorgefafste Meinung und hergebrachte
Vorftellung heran und flehte fie mit den Perfonen der ihm zur Verfügung
flehenden, allerdings an fich nichts weniger als idealen Geftaltenwelt dar. Sehen
wir auf Werken diefer Art nur die Figuren in ihrer Haltung innerhalb des
natürlichen Licht- und Lufttones, in ihrer äufserlichen Beziehung zu einander,
und fehen wir dann das Bild auf feine malerifche Gefammtwirkung an, fo werden
wir von der Meifterfchaft ihrer Ausführung fo hingeriffen fein, dafs wir in der
That vergeßen, nach dem Inhalt zu fragen, und einige diefer Werke trotz
ihrer Abfonderlichkeiten zu den herrlichflen Schöpfungen, die aus Farben zu-
fammengefügt worden, rechnen müffen.