Die franz. Malerei des 17. Jahrh. A. Die franz. Realiften in der erftenHälfte d. Jahrh. u.S.Vouet. 305
Die Brüder Le Nain*) find eine eigenartige, faft räthfelhafte Erfcheinung ®r¥®r
in der franzöfifchen Kunft diefes Zeitraums. Es waren ihrer drei, Antoine,
Louis und Matthieu; und wenn es neuerdings auch gelungen ift, fie ihrer
Lebenszeit nach genau von einander zu unterfcheiden, fo find bisher doch alle
Verfuche, ihre Werke aus einander zu halten, gefcheitert. Geboren waren fie
in Laon, Antoine 1588, Louis 1593, Matthieu 1607 ; in ihrer Vaterftadt hatten G^“hieu^
fie von einem »fremden« Meifher ihren erften Unterricht empfangen; in Paris
liefsen fie fich felbft anfangs als zünftige Meifter einfchreiben, wurden aber ihr Leben,
gleich nach der Gründung der Akademie, 1648, zu deren Mitgliedern ernannt.
Antoine und Louis waren damit fchon am Ende ihrer Laufbahn angekommen;
fie ftarben noch in demfelben Jahre, Antoine am 25., Louis am 23. Mai 1648,
während Matthieu bis zum 20. April 1677 lebte. Nach einigen Nachrichten
wäre Antoine vorzugsweife Miniaturporträtmaler der alten Art gewefen, hätte
Louis den grofsten Antheil an den fchlichten Sittenbildern aus dem franzöfifchen
Volksleben, welche uns am öfteften unter dem Namen Le Nain begegnen, und
wäre Matthieu ein gefuchter Bildermaler im grofsen gewefen. Nach diefer
Auffaffung müfsten faft alle erhaltenen oder erkannten Bilder der Le Nain
von Louis herrühren; aber gefichert ift diefe Auffaffung keineswegs; und felbft
der Katalog der Parifer Louvre-Sammlung fährt fort, nur Bilder der »Freres
Le Nain« zu kennen.
Diefe Bilder zeigen eine ruhige, fchlichte, ernfte Auffaffung des Volkslebens jh^w^rke
und feiner Typen. Handlung und Bewegung find ihre Sache nicht; die ein-
zelnen Geftalten find nur in lofe Beziehungen zu einander, ja felbft zu ihren
Befchäftigungen gefetzt. Sie haben fich fo aufgeftellt, als wüfsten fie, dafs fie
»abgemalt« werden follten, und blicken daher auch in der Regel den Befchauer
an. Dabei find fie individuell lebendig aufgefafst, correct gezeichnet und mit
ziemlich gewandter Technik gemalt; die melancholifche Ruhe ihres Ausdrucks
ift nicht ohne poetifchen Anflug; und das hell an den Hauptftellen fpielende,
entfernt an Caravaggio erinnernde Licht verleiht ihnen einen gewiffen malerifchen
Reiz, der allerdings durch die monotone, kreidiggraue Gefammthaltung wieder
beeinträchtigt wird. Die Altarblätter der Le Nain in Parifer und Laoner ihre
Kirchen find nicht charakteriftifch für fie; um fo beffer kennzeichnen fie ihre Bilder G ih^
im Louvre zu Paris: die berühmte »Schmiede«, »die Tränke«, »das ländliche
Mahl« (Fig. 500); dazu die »Bauernmahlzeit« der Sammlung Lacaze, — eine
grofse Wachtftubenfcene und »der Aufterneffer» früher bei Herrn George in in parjS;
Paris, ein »Interieur rustique« im Mufeum von Rouen1 2); ferner »ein Bildnifsmaler, in Rouen,
der eine Dame porträtirt« in der Münchener Pinakothek (nach alten Inventaren in München,
von Louis Le Nain), einige Darftellungen der Eremitage zu St. Petersburg und in St. Peters-
zahlreiche Bilder der englifchen Privatgalerien; von den letzteren ift befonders bl"g’
der alte Flötenfpieler mit laufchenden Kindern im Stafford-Houfe zu London im Stafford-
berühmt; vortrefflich in ihrer Art aber find auch die fieben Karten fpielenden London,
1) Champfleury. Essai sur la vie et l’oeuvre des Lenain, peintres Laonnais. Laon 1850.
Derselbe: in den Archives de l’Art, Documents IV, p. 68—71. — Neues Material und zugleich eine
Kritik der inzwifchen erfchienenen franz. Auffätze über die Le Nain giebt Etienne Arago in L’Art
1879, I, p. 305 ff.
2) Vgl. Clement de Kis, Les musees de Province, sec. ed. Paris 1872, p. 387.
Gefchichte d. Malerei. III. 20
Die Brüder Le Nain*) find eine eigenartige, faft räthfelhafte Erfcheinung ®r¥®r
in der franzöfifchen Kunft diefes Zeitraums. Es waren ihrer drei, Antoine,
Louis und Matthieu; und wenn es neuerdings auch gelungen ift, fie ihrer
Lebenszeit nach genau von einander zu unterfcheiden, fo find bisher doch alle
Verfuche, ihre Werke aus einander zu halten, gefcheitert. Geboren waren fie
in Laon, Antoine 1588, Louis 1593, Matthieu 1607 ; in ihrer Vaterftadt hatten G^“hieu^
fie von einem »fremden« Meifher ihren erften Unterricht empfangen; in Paris
liefsen fie fich felbft anfangs als zünftige Meifter einfchreiben, wurden aber ihr Leben,
gleich nach der Gründung der Akademie, 1648, zu deren Mitgliedern ernannt.
Antoine und Louis waren damit fchon am Ende ihrer Laufbahn angekommen;
fie ftarben noch in demfelben Jahre, Antoine am 25., Louis am 23. Mai 1648,
während Matthieu bis zum 20. April 1677 lebte. Nach einigen Nachrichten
wäre Antoine vorzugsweife Miniaturporträtmaler der alten Art gewefen, hätte
Louis den grofsten Antheil an den fchlichten Sittenbildern aus dem franzöfifchen
Volksleben, welche uns am öfteften unter dem Namen Le Nain begegnen, und
wäre Matthieu ein gefuchter Bildermaler im grofsen gewefen. Nach diefer
Auffaffung müfsten faft alle erhaltenen oder erkannten Bilder der Le Nain
von Louis herrühren; aber gefichert ift diefe Auffaffung keineswegs; und felbft
der Katalog der Parifer Louvre-Sammlung fährt fort, nur Bilder der »Freres
Le Nain« zu kennen.
Diefe Bilder zeigen eine ruhige, fchlichte, ernfte Auffaffung des Volkslebens jh^w^rke
und feiner Typen. Handlung und Bewegung find ihre Sache nicht; die ein-
zelnen Geftalten find nur in lofe Beziehungen zu einander, ja felbft zu ihren
Befchäftigungen gefetzt. Sie haben fich fo aufgeftellt, als wüfsten fie, dafs fie
»abgemalt« werden follten, und blicken daher auch in der Regel den Befchauer
an. Dabei find fie individuell lebendig aufgefafst, correct gezeichnet und mit
ziemlich gewandter Technik gemalt; die melancholifche Ruhe ihres Ausdrucks
ift nicht ohne poetifchen Anflug; und das hell an den Hauptftellen fpielende,
entfernt an Caravaggio erinnernde Licht verleiht ihnen einen gewiffen malerifchen
Reiz, der allerdings durch die monotone, kreidiggraue Gefammthaltung wieder
beeinträchtigt wird. Die Altarblätter der Le Nain in Parifer und Laoner ihre
Kirchen find nicht charakteriftifch für fie; um fo beffer kennzeichnen fie ihre Bilder G ih^
im Louvre zu Paris: die berühmte »Schmiede«, »die Tränke«, »das ländliche
Mahl« (Fig. 500); dazu die »Bauernmahlzeit« der Sammlung Lacaze, — eine
grofse Wachtftubenfcene und »der Aufterneffer» früher bei Herrn George in in parjS;
Paris, ein »Interieur rustique« im Mufeum von Rouen1 2); ferner »ein Bildnifsmaler, in Rouen,
der eine Dame porträtirt« in der Münchener Pinakothek (nach alten Inventaren in München,
von Louis Le Nain), einige Darftellungen der Eremitage zu St. Petersburg und in St. Peters-
zahlreiche Bilder der englifchen Privatgalerien; von den letzteren ift befonders bl"g’
der alte Flötenfpieler mit laufchenden Kindern im Stafford-Houfe zu London im Stafford-
berühmt; vortrefflich in ihrer Art aber find auch die fieben Karten fpielenden London,
1) Champfleury. Essai sur la vie et l’oeuvre des Lenain, peintres Laonnais. Laon 1850.
Derselbe: in den Archives de l’Art, Documents IV, p. 68—71. — Neues Material und zugleich eine
Kritik der inzwifchen erfchienenen franz. Auffätze über die Le Nain giebt Etienne Arago in L’Art
1879, I, p. 305 ff.
2) Vgl. Clement de Kis, Les musees de Province, sec. ed. Paris 1872, p. 387.
Gefchichte d. Malerei. III. 20