308 Sechstes Buch. Dritter Abfchnitt.
der Kleinmeifter. Etwa feit 1625, dem Jahre übrigens, in dem er fich ver-
heirathete, fehen wir in Folge diefer Studien und unausgefetzter Naturbeobachtung
Neuer Stil, den noch fetteren und feineren, zugleich nationaleren und nordifcheren Stil feiner
letzten Zeit zur Geltung gelangen. Diefer Stil tritt uns jedoch keineswegs in
Gelegen a^en fe’nen fpäteren Arbeiten gleich feffelnd entgegen. Seine drei grofsen,
heitsbiätter. aus verfchiedenen Platten zufammengefetzten Belagerungsfcenen (Siege de Breda,
M. 510; Siege de la Rochelle, 511—521; Siege de l’ile, 522 — 532), haben
unzweifelhaft ein gröfseres topographifches und kriegsgefchichtliches, als künft-
lerifches Intereffe; feine. Darftellungen von Tournieren und anderen Hoffesftlich-
keiten (z. B. der »Combat ä la Barriere«, M. 490—503) fcheinen oft nur fchnell
und roh fürs Tagesbedürfnifs angefertigt zu fein; feine religiöfen Darftellungen
entbehren der Weihe und Wahrheit oder finken gar, wie feine 490 Kalender-
bilder auf 124 Platten (M. 302—425) zu handwerksmäfsiger Flauheit und Leere
herab. Manchmal erfcheinen die Gehalten folcher Darftellungen unglaublich
manierirt, unmöglich lang, fchlank und dünn, kleinköpfig bis zur Kopflofigkeit;
und felbft manche feiner kräftigen, wohl durchgebildeten gröfseren Figuren, wie
die 12 Darftellungen des lothringifchen Adels (M. 673—684), haben, abgefehen
von ihrer tüchtigen Technik, nur für die Koftümgefchichte ein hervorragendes
Seme Haupt- Intereffe. Wirklich feffelnd hiegegen find feine figurreichen Darftellungen aus dem
dem Volks- Volks- und Soldatenleben. Hier ift die Feinheit, mit der die zahlreichen kleinen
datenieben. Geftalten zu Mafien vereinigt und doch wieder jede für fich charakteriftifch
durchgebildet find, ebenfo bewundernswert!!, wie die Darftellung der Bewegungen
und Handlungen, welche uns die Gefchichte erzählen, und der landfchaftlichen
Gründe, in denen fie fpielen. Die Zeichnung ift von der gröfsten Freiheit und
Genauigkeit, die Aetztechnik, welche Callot durch neue Erfindungen verbefierte,
von der erftaunlichften Sicherheit und Schärfe, zugleich die Moral oft von ein-
dringlicher Lebendigkeit. Hierher gehören von den biblifchen Erzählungen die
ganz fittenbildlich aufgefafsten elf Blätter mit der Gefchichte des verlorenen
Sohnes (M. 53—63), hierher die durch des Meifters frühfte Jugenderinnerungen
infpirirten, grotesk - charakteriftifch aufgefafsten Zigeunerzüge (M. 667 — 670),
hierher das durch eine befondere Feinheit der Technik ausgezeichnete Blatt
welches die verfchiedenen Todesftrafen zufammenftellt (M. 665), hierher die
DiegMiseres fechs kleinen Darftellungen aus dem Kriegsleben »Les petites miseres de la guerre«
delaguerre«. 0 0
(M. 557—563), hierher vor allen Dingen feine achtzehn gröfseren Darftellungen
ähnlichen Inhalts, »Les grandes miseres de la guerre«, (M. 564—a^es
allem feine berühmteften und charakteriftifchften Blätter, (Fig. 501) in denen Callot
fich nach Kinkels Ausdruck zu einem wahrhaft focialiftifchen Künftler fteigert.
Die Wildheit und Unbarmherzigkeit des Soldatentreibens während des dreifsig-
jährigen Krieges tritt uns in der That in keinen anderen zeitgenöffifchen
Kunftwerken fo erfchreckend anfchaulich, in keinen aber auch io geiftvoll künft-
lerifch verarbeitet entgegen, wie in diefen Blättern. Befonders lebendig ift
auch die landfchaftliche Perfpective in ihnen mit zur Geltung gebracht, wie
Sfchlftend" denn zahlreiche eigentliche Landfchaften und Städtebilder des Meifters von
....,sfin,e feiner wahren und feinfühligen Beobachtung einer einfachen, fchlichten oder
Anfichten, einer durch Menfchenhände zum Kunftwerk umgefchaffenen Natur Zeugnifs
ablegen. Endlich fei noch fein phantaftifches grofses Blatt der »Verfuchung
der Kleinmeifter. Etwa feit 1625, dem Jahre übrigens, in dem er fich ver-
heirathete, fehen wir in Folge diefer Studien und unausgefetzter Naturbeobachtung
Neuer Stil, den noch fetteren und feineren, zugleich nationaleren und nordifcheren Stil feiner
letzten Zeit zur Geltung gelangen. Diefer Stil tritt uns jedoch keineswegs in
Gelegen a^en fe’nen fpäteren Arbeiten gleich feffelnd entgegen. Seine drei grofsen,
heitsbiätter. aus verfchiedenen Platten zufammengefetzten Belagerungsfcenen (Siege de Breda,
M. 510; Siege de la Rochelle, 511—521; Siege de l’ile, 522 — 532), haben
unzweifelhaft ein gröfseres topographifches und kriegsgefchichtliches, als künft-
lerifches Intereffe; feine. Darftellungen von Tournieren und anderen Hoffesftlich-
keiten (z. B. der »Combat ä la Barriere«, M. 490—503) fcheinen oft nur fchnell
und roh fürs Tagesbedürfnifs angefertigt zu fein; feine religiöfen Darftellungen
entbehren der Weihe und Wahrheit oder finken gar, wie feine 490 Kalender-
bilder auf 124 Platten (M. 302—425) zu handwerksmäfsiger Flauheit und Leere
herab. Manchmal erfcheinen die Gehalten folcher Darftellungen unglaublich
manierirt, unmöglich lang, fchlank und dünn, kleinköpfig bis zur Kopflofigkeit;
und felbft manche feiner kräftigen, wohl durchgebildeten gröfseren Figuren, wie
die 12 Darftellungen des lothringifchen Adels (M. 673—684), haben, abgefehen
von ihrer tüchtigen Technik, nur für die Koftümgefchichte ein hervorragendes
Seme Haupt- Intereffe. Wirklich feffelnd hiegegen find feine figurreichen Darftellungen aus dem
dem Volks- Volks- und Soldatenleben. Hier ift die Feinheit, mit der die zahlreichen kleinen
datenieben. Geftalten zu Mafien vereinigt und doch wieder jede für fich charakteriftifch
durchgebildet find, ebenfo bewundernswert!!, wie die Darftellung der Bewegungen
und Handlungen, welche uns die Gefchichte erzählen, und der landfchaftlichen
Gründe, in denen fie fpielen. Die Zeichnung ift von der gröfsten Freiheit und
Genauigkeit, die Aetztechnik, welche Callot durch neue Erfindungen verbefierte,
von der erftaunlichften Sicherheit und Schärfe, zugleich die Moral oft von ein-
dringlicher Lebendigkeit. Hierher gehören von den biblifchen Erzählungen die
ganz fittenbildlich aufgefafsten elf Blätter mit der Gefchichte des verlorenen
Sohnes (M. 53—63), hierher die durch des Meifters frühfte Jugenderinnerungen
infpirirten, grotesk - charakteriftifch aufgefafsten Zigeunerzüge (M. 667 — 670),
hierher das durch eine befondere Feinheit der Technik ausgezeichnete Blatt
welches die verfchiedenen Todesftrafen zufammenftellt (M. 665), hierher die
DiegMiseres fechs kleinen Darftellungen aus dem Kriegsleben »Les petites miseres de la guerre«
delaguerre«. 0 0
(M. 557—563), hierher vor allen Dingen feine achtzehn gröfseren Darftellungen
ähnlichen Inhalts, »Les grandes miseres de la guerre«, (M. 564—a^es
allem feine berühmteften und charakteriftifchften Blätter, (Fig. 501) in denen Callot
fich nach Kinkels Ausdruck zu einem wahrhaft focialiftifchen Künftler fteigert.
Die Wildheit und Unbarmherzigkeit des Soldatentreibens während des dreifsig-
jährigen Krieges tritt uns in der That in keinen anderen zeitgenöffifchen
Kunftwerken fo erfchreckend anfchaulich, in keinen aber auch io geiftvoll künft-
lerifch verarbeitet entgegen, wie in diefen Blättern. Befonders lebendig ift
auch die landfchaftliche Perfpective in ihnen mit zur Geltung gebracht, wie
Sfchlftend" denn zahlreiche eigentliche Landfchaften und Städtebilder des Meifters von
....,sfin,e feiner wahren und feinfühligen Beobachtung einer einfachen, fchlichten oder
Anfichten, einer durch Menfchenhände zum Kunftwerk umgefchaffenen Natur Zeugnifs
ablegen. Endlich fei noch fein phantaftifches grofses Blatt der »Verfuchung