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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Editor]; Woermann, Karl [Editor]
Geschichte der Malerei (Band 3,1) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48521#0430
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418

Sechstes Buch. II. Abtheilung. Erfter Abfchnitt.

Die hl.
Familie bei
Sir Rich.
Wallace in
London.

eigenen, palaftartigen Hanfes, welches er mit allen Bequemlichkeiten des Lebens
und mit allen Kunftfchätzen, die er gefammelt hatte, aufs prächtigfle ausftattete.
Seine Gattin fchenkte ihm 1614 den erften, 1618 den zweiten Sohn. Bis zum
Jahre 1621, in dem er, einem Rufe der Königin Maria de’ Medici folgend, zeit-
weilig nach Paris überfiedelte, flofs fein Leben zwar in angeflrengter künftle-
rifcher Arbeit, aber ohne befondere andere Ereigniffe, als die Schöpfungen
feines Pinfels, die alljährlich in unglaublicher Anzahl aus feiner von Anfang an
mit Schülern und Gefellen überfüllten Werkftatt hervorgingen, ruhig und heiter
dahin. Die Hauptwerke, welche diefem Zeitabfchnitte feines Lebens angehören,
müffen wir uns nunmehr vergegenwärtigen.
Bisher galt es als ausgemacht, dafs zu den früheren Werken, die Rubens
in Antwerpen nach feiner Heimkehr aus Italien gemalt, das Altarwerk für die
Brüderfchaft des heiligen Ildephons gehörte, welches fich jetzt in der kaiferlichen
Galerie in Wien befindet. Neuerdings find jedoch Urkunden aufgefundenJ),
welche beweifen, was übrigens die Malweife der Gemälde längt! hätte wahr-
fcheinlich machen müffen, dafs fie erft nach 1630 entftanden find. Wir werden
das berühmte Werk daher erft fpäter befprechen. Ein religiöfes Bild, welches
Rubens unbezweifelter Mafsen 1609 ausgeführt hat, ift die koftliche heilige
Familie bei Sir Richard Wallace in London. Den Bildnifsftil feiner Antwerpener

Die
Anbetung
der Könige betung der Könige«
in Madrid.
Die
Aufrichtung
des Kreuzes
in der Kathe-
drale zu
Antwerpen.

Das Selbft-
bildnifs mit
feiner erften Frühzeit aber zeigt uns in vollendetfter Klarheit das Prachtbild der Münchener
Gattin in der °
Pinakothek Pinakothek (Fig. 523), in dem der Meifter fich felbft mit feiner jungen Gattin
in einer Geisblattlaube fitzend dargeftellt hat. Hier ift Alles ftofflich, feft und
klar behandelt, verhältnifsmäfsig kühl und beftimmt in der Farbe, aber erftaunlich
wahr und lebendig. Die Gruppe ift mit der überlegenden Freiheit angeordnet;
und aus den unzweifelhaft fprechend ähnlichen Zügen des fchmucken Paares
blickt uns ruhiges Selbftbewufstfein und volles Glück mit wohlthuender Ueber-
zeugungskraft an. Das Bild mufs dem für Rubens Entfaltung fo glücklichen
Jahre 1610 angehören, welches aufserdem die unbefchreiblich herrliche »An-
, jetzt im Madrider Mufeum, und vor allen Dingen die
grofsartige »Aufrichtung des Kreuzes«, jetzt im Dome zu Antwerpen, entliehen
fah. In diefem zuletzt genannten coloffalen Bilde tritt uns des Meifters
dramatifche Kraft zum erften Male in ihrer ganzen Frifche und Wucht entgegen.
Schon hängt der Heiland, den Blick gen Himmel wendend, am Kreuze; und
wir fehen mindeftens ein halbes Dutzend herculifcher, halbnackter Männer mit
der äufserften Anftrengung ihrer Muskelthätigkeit im Begriffe, es aufzurichten.
Wüfste man nicht, dafs der Heiland die Sündenlaft der ganzen Welt auf fich
genommen, fo könnte es des Kraftaufwandes für den Zweck faft zu viel
erfcheinen. Auf dem rechten Flügel fehen wir den Hauptmann zu Pferde,

1) Ang. Caßan: Les origines et la däte du Saint Ildephons de Rubens, Besangon 1884. \ gl.
Frimmels Bericht über diele Schrift im »Repertorium« VIII, 1885, S. 381—383. — Hiernach mufs
man annehmen, dafs das Werk erft nach dem Tode Albrechts, ja erft 1630—32 entftanden. — Im
Widerfpruch damit fleht die Angabe Ed. v. Engerths in feinem »Befchreibenden Verzeichnifs« der
kaiferlichen Galerie zu Wien, II, 1884, S. 372. Hiernach enthalten die Akten über den Ankauf des
Bildes durch Maria Therefia zugleich Mittheilungen über feine Entftehung, welche beftätigen würden,
dafs Erzherzog Albrecht das Bild gleich nach Rubens Rückkehr aus Italien beftellt habe. Die Aus-
führung konnte fich ’edoch, wenn dem wirklich fo war, hinausgefchoben haben.
 
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