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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Editor]; Woermann, Karl [Editor]
Geschichte der Malerei (Band 3,1) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48521#0514
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5°2

Sechstes Buch. II. Abtheilung. Erfter Abfchnitt.

* Seine
Auffafiung.

Seine Stil-
wandlungen.

An innerlicher Erfaffung der Individualität der Perfonen, die er darftellte,
und an eindringender Durchbildung des Ausdrucks ihrer Köpfe haben es ihm
andere, befonders Brouwer und die holländifchen Sittenmaler feiner Zeit, zuvor
gethan; obgleich er im ganzen Realift ift und Alles, was das Leben bietet,
wahr und natürlich darzuftellen weifs, fo verallgemeinert er feine Typen und
felbft die Situationen, die er darftellt, doch bis zu einem gewiffen Grade; und
wie fich die gleiche, an fich nicht unmalerifche und irgendwo ficher auch der
Wirklichkeit abgefehene, in ihrer fielen Wiederholung aber einförmig wirkende
Anordnung feiner Bilder in einen gröfseren, vorderen und in einen kleineren,
zurückliegenden Raum, denen eine gröfsere Vordergrunds- und eine kleinere
Mittelgrundsfcene entfpricht, in allen feinen figurenreicheren Bildern wiederfindet,
mögen diefe nun zugleich eine Vorderftube und eine Hinterftube im Inneren eines
Hanfes oder einen umzäunten, durch Gebäude im Mittelgrund abgefchloffenen
Vorderraum und einen feitlichen Fernblick im Freien darflellen, fo wieder-
holt er fich überhaupt in ganzen Darftellungen mit geringen Veränderungen
fo oft und in fo gleicher oder doch fo ähnlicher Weife, wie dies kaum ein
zweiter berühmter Maler feiner Zeit gewagt hat; und wenn wir ihm, der Fülle
verfchiedener Compofitionen gegenüber, die er trotzdem gefchaffen hat, auch
eine reiche Erfindungsgabe nicht abfprechen dürfen, fo zeugt diefer Umftand
doch von einem gewiffen bequemen Sichgehenlaffen und einer gewiffen Erwerbs-
mäfsigkeit feines Kunftfchaffens, die wir als folche nicht loben können. Be-
trachten wir aber jedes einzelne feiner Bilder für fich, fo werden wir von der
natürlichen Liebenswürdigkeit ihrer Auffaffung, an der felbft feine derberen
Motive Theil haben, von der zugleich lebendigen und feinfühligen Anordnung
ihrer Einzelgruppen und deren wohl abgewogener Vertheilung in der gefammten
Bildfläche, vor allen Dingen aber von der freien, flüffigen, nichts weniger als
glatten und harten, vielmehr durch und durch malerifchen Technik ihrer Pinfel-
führung und von der harmonifchen Einheitlichkeit ihrer bald tieferen, bald
helleren, bald goldigeren, bald filberigen Farbenftimmung doch immer wieder
hingeriffen werden und ihm feine Bedeutung als Meifter erften Ranges nicht
flreitig machen.
Wandlungen ift auch er im Laufe feines langen Lebens natürlich aus-
gefetzt gewefen; doch erftrecken fich diefe kaum auf fein Stoffgebiet, auf die
Anordnung feiner Bilder und auf feine Formenfprache, wenngleich die letztere
eine Zeitlang unter Brouwers Einflufs nach fchärferer Charakteriflik ftrebte;
fie find vielmehr hauptfächlich nur auf dem Gebiete feiner Pinfeiführung, die
anfangs, im Anfchlufs an diejenige der mittleren Zeit Brouwers, feiler und
energifcher war, in feiner beften mittleren Zeit breiter und leichter wurde,
um zuletzt in die gröfsere Unficherheit und Verblafenheit des Alters über-
zugehen, und vor allen Dingen auf demjenigen feiner Farbenftimmung wahrzu-
nehmen. Diefe ift anfangs kräftig und bräunlich, dann, in feiner Brouwer fchen
Periode •) und noch um 1640, kühler, aber tief, natürlich; gleich darauf fällt
fie in die warme Tonart zurück, klärt fich innerhalb diefer nun aber rafch auf,

1) lieber diefe vergleiche vor allen Dingen W. Bode in den »Graphifchen Künften« VI, Wien
1854, S. 69—71.
 
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