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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Hrsg.]; Woermann, Karl [Hrsg.]
Geschichte der Malerei (Band 3,2) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48522#0105
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Die holländifche Malerei des 17. Jahrhunderts. B. Die Haarlemer Schule. 633
nichts. Gewifs gehören auch diefe zuletzt genannten, »realiftifchen« und doch
durchgeiftigten, durch die feinen atmofphärifchen Wirkungen befeelten Land-
fchaftsbilder des Meifters zu den gröfsten Leiftungen der Kunft. Wir möchten
fie um keinen Preis mifsen. Wenn aber gerade ein auf fo gefundem Boden
flehender Künftler, wie Ruisdael, noch einen Schritt weiter geht und uns mit
allen Mitteln feiner reifften Kunft ein Werk fchafft, wie den Judenkirchhof,
welches uns im innerften Gemüthe packt und erfchüttert, fo dürfen wir das
nicht als einen Rückfchritt, fondern müffen es als einen Fortfehritt zu jenen
höchften Höhen der Kunft bezeichnen, die nur ganz wenige Sterbliche erklom-
men haben. Die enge Fühlung mit der Natur, wie Ruisdael fie hatte, ift
freilich die Vorbedingung, ohne welche Idealwerke diefer Art in der Luft
fchweben.
Dafs Ruisdael übrigens auch auf dem Gebiete der malerifchen Technik, Ruisdaeis
ohne deren Beherrfchung Realismus wie Idealismus hülflos find, zu den be- Technik,
wundernswertheften Meiftern gehört, verlieht fich nach allem Gefagten von felbft.
Er gehört in feiner beften Zeit eben zu den wenigen Künftlern, welche voll-
kommen »manierfrei« malen, deffen Willen die Hand und der in Farbe ge-
tauchte Pinfel fo folgen, als malte die Natur felbft das Bild auf die Netzhaut
unteres Auges. Diefe »manierfreie« Technik erfcheint eben bei der forgfältigften
Durchführung nicht kleinlich und geleckt, bei der grofsartigften Breite nicht
roh und ungelenk. Sie wird der Nähe und der Ferne, harmonifch ausgleichend
und zufammenfaffend, gleichmäfsig gerecht. Dafs einzelne Bilder Ruisdaeis
aber durch die Nachdunkelung, welche fie fpäter infolge der angewandten
Farben erlitten haben, noch dunkler erfcheinen, als der Meifter fie gemeint
hatte, darf nicht überfehen werden. Selbft die Luft hinter dem Judenkirchhof,
fo fchwarz fie gemeint ift, fieht unferes Erachtens heute doch fchwärzer aus,
als Ruisdael fie gemalt hatte. — Uebrigens ging Ruisdael fo fehr in die inner- St|^e
liehe künftlerifche Durchbildung feiner Landfchaften felbft auf, dafs er das
Figurenzeichnen vernachläffigte. Die Staffage fetzten ihm daher in der Regel
andere Künftler, wie Berchem, A. v. d. Velde, Wouwerman, Lingelbach in feine
Bilder; nicht immer zu ihrem Vortheil, da fie manchmal mit Verhältnifsfehlern
und ohne gehörige Rückficht auf die Landfchaft hineingefetzt find.
Ruisdael war ein fruchtbarer Meifter. Seine Bilder find nichts weniger Ruisdaeis
als feiten ’)• Sie chronologifch zu ordnen, ift nicht ganz leicht, da er fie, wenn Bilder
er fie auch ftets zu bezeichnen pflegte, doch nur fehr feiten datirte. Nach
einigen diefer datirten Bilder des Meifters müffen wir uns, um einen Anhalts-
punkt zu gewinnen, zunächft umfehen. Am öfterften hat er feine Jugend-
bilder zwifchen 1646 und 1649 datirt. Diefe find noch kleinlicher und trockener
in der Behandlung, unruhiger in der Farbenzufammenftimmung, brauner im
Gefammtton als die fpäteren, zeichnen fleh aber gleich durch eine Fülle male-
rifcher, der Umgegend Haarlems entlehnter Motive aus. Vom Jahre 1646, von 1646
dem auch eins feiner zehn geiftvoll radirten Blätter1 2) angehört, flammen zwei
1) John Smith zählt in feinem Catalogue raisonne VI (1835) P- 1—Io7 und dem Supplement
1842, p. 680—718 zufammen 459 Nummern, von denen die heutige Bilderforfchung manche ftreichen
würde, denen fie aber ficher auch noch manche hinzufügen könnte.
2) Bartfeh a. a. O. I, p. 307—319; Weigel, Suppl., p. 39—42.
 
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