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Woermann, Karl; Woltmann, Alfred [Editor]; Woermann, Karl [Editor]
Geschichte der Malerei (Band 3,2) — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.48522#0284
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812

Sechstes Buch. II. Abtheilung. Zweiter Abfchnitt.

Sein Leben.

Seine
Kunft weife.

Seine Ent-
wicklung.

Kafpar
Netfcher.

Seine frühen
Bilder
in
Rotterdam
und Turin.
Seine Bilder
nach 1664
in Dresden,

Bauernftube in der Kopenhagener Galerie; 1656 gehört er im Haag zu den
Mitbegründern der Confrerie; 1668 floh er Schulden halber aus diefer Stadt *).
Lebensgrofse fittenbildliche Halbfiguren feiner Hand find das »Bildnifs einer
alten Frau« von 1648 im Berliner Mufeum und die ähnliche »Garnwinderin«
in der Dresdener Galerie. Kleine, für ihn befonders charakteriflifche Sitten-
bilder in Binnenräumen mit fehr ausgeprägtem Helldunkel find »die Nätherin«
im Berliner Mufeum, »ein Alter am Kohlenfeuer« und »ein lefender Alter bei
einer Oellampe« in der .Dresdener Galerie, »die Bauern beim Kartenfpiel« in
der Caffeler Galerie, »rauchende Bauern« und »zechende Bauern« in der kaif.
Galerie zu Wien. Schwach ift fein grofses Familiengruppenbild im Haarlemer
Mufeum. Pieter Verelft ift an feinen goldgelben Fleifchtönen und feiner weichen,
faft wolligen Pinfeiführung leicht erkennbar.
Ihren Hauptglanz aber erhielt die Haager Schule in der zweiten Hälfte
des Jahrhunderts durch Kafpar Netfcher. Diefer wurde 1639 in Heidelberg
geboren, kam nach dem Tode feines Vaters mit feiner Mutter noch als Kind
nach Arnheim, wo er feinen erften Unterricht erhielt, wurde zu feiner weiteren
Ausbildung zu Gerard Terborch, dem grofsen Meifter, den wir erft fpäter
kennen lernen werden, nach Deventer gefchickt, reifte nach Frankreich, wo er
fich 1659 in Bordeaux verheirathete und einige Jahre anfäffig blieb, kehrte dann
aber nach Holland zurück und liefs fich im Haag nieder, wo er fchon 1662
als Mitglied der Malerinnung genannt wird2) und 1684 ftarb. Als Künftler ift
er zunächft Schüler Terborch’s und als folcher Sittenmaler vornehmerer Art
und Maler von Bildniffen fittenbildlichen Zufchnitts in kleinerem Mafsftabe. Von
dem breiten, freien, flüffigen Stil Terborch’s ging er, ohne ihn jemals ganz zu
verläugnen, anfangs mehr in die innerhalb eines warmen, leuchtenden Helldunkels
fein ausführende Richtung der beften Zeit des Frans Mieris über und malte
Sittenbilder aus dem Leben der höheren Stände, welche zu den fchönften,
feinften und geiftvollften ihrer Art gehören; fpäter wurde er von der vornehmen
Welt, die im Haag anfäffig war oder den Haag befuchte, hauptfachlich als
Bildnifsmaler innerhalb der gefchilderten Richtung in Anfpruch genommen; und
er wurde hierdurch allmählich manierirter, baufchiger im Sinne der Barockzeit
und ihrer Trachten, kälter in der Farbe, leerer im Ausdruck, ohne feiner forg-
fältigen Durchführung untreu zu werden.
Bilder feiner Hand aus dem Jahre feiner Niederlaffung im Haag (1662)
find das gute, lebendige, ausnahmsweife lebensgrofse Bruftbild eines proteftan-
tifchen Predigers im Rotterdamer Mufeum und »der Schleifer« in der Turiner
Pinakothek. Vom Jahre 1664 an kann man feine Entwicklung vortrefflich in
der Dresdener Galerie verfolgen, die neun Bilder feiner Hand befitzt: «die
kranke Dame mit ihrem Arzt« von 1664, »der Brieffchreiber«, die »fingende Dame
mit dem Lautenfpieler« und »die Dame beim Ankleiden« , alle drei von 1665,
fowie die am Klavier flehende Dame, welche den Gefang eines fitzenden Herrn
begleitet (Fig. 624) von 1666 find Meifterwerke der holländifchen Sittenmalerei:
elegant in der Haltung, fein im Ausdruck, leicht und doch fehr flofflich in der

1) A. Bredius im Berliner Verzeichnifs 1883 S. 490—491.
2) Obrem’s Archief IV p. 150. — A. Bredius in Oud Holland V, 1887, p. 263—274.
 
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