IKONOG RAPMISCHER U. STILISTISCHER CHARAKTER DES R ABUL A-EVANG ELI ARS 295
weitige ikonographische Parallelen in Denk-
mälern des antiochenischen Kreises, so z. B.
für Herodes, der den Kindermord befiehlt 186,
für Maria neben der Krippe (S. 118u.l30) und
Christus im Gespräch mit der Samariterin
(S. 112) oder für das Wunder in Kana, bei
dem das Wasser in die Krüge eingefüllt wird
(S. 128u.200). Syrisch-palästinensischen Ty-
pen schließen sich die Heilungdes Gichtbrüchi-
gen u. a. m. an. Dazu kommen ganz neue
Wendungen,gelegentlich wohl auch aus freier
Erfindung. Den Blinden führt ein Knabe, ein
Krüppel hockt am Boden. Auf Befehl des
Herrn holt Petrus den Stater aus dem Maul
des Fisches. Jonas liegt in voller Gewandung
— der kirchliche Geist mit seiner Scheu vor
dem Nackten macht sich hier geltend — neben
der Stadt Niniveh. Diese Szene und die Ge-
setzesübergabe an Moses hat ihren Platz
über den Kanonesarkaden, wo sonst regel-
mäßigdie Einzelfiguren von Propheten: Aaron
mit dem aufgeblühten Stab, David mit der
Harfe usw. stehen. Die Zweiteilung der Dar-
stellungen bildet in den Wundern die Regel.
Die Szenen der Passion stellt der Künstler
hingegen nach der Zeitfolge, dem linksläufigen
syrischen Schriftzuge entsprechend, einander
gegenüber, das Abendmahl, wo die Hand-
lung liturgisch als die Austeilung des Brots
aufgefaßt und die ganze Apostelschar zu
einer hochgestaffelten Gruppe zusammengedrängt ist (Abb. 277), dem Einzug in Jerusalem, den Tod des
Judas dem Verrat. Nur beim Verhör steht wieder Christus allein Pilatus und dem Diener mit dem Wasser-
becken gegenüber. Überall ist die Komposition auf ihren einfachsten, typischen Ausdruck gebracht. Die
lechnik ist flott bis zur Flüchtigkeit wie auch in der Pariser Handschrift.
Das Evangeliar des Rabula enthält außerdem vier Vollbilder, welche in feierlicher, zentral gebauter
Komposition Kreuzigung, Himmelfahrt, Herabkunft des Heiligen Geistes und eine Apostelversammlung
darstellen. Auffassung und Ausführung bleibt hier auch eine malerische. Grüner Boden mit dunkleren
Schlagschatten, abgetönte blaue Bergferne, rötlicher Widerschein des Sonnenlichts und bläulicher Mond-
schimmer auf den Wolken finden in den erstgenannten beiden Szenen verständnisvolle Wiedergabe. Die
Modellierung der Gestalten wird durch aufgesetzte Lichter gehöht. Wie lebendig der bildmäßige Illu-
sionismus in der hellenistisch-syrischen Buchmalerei noch so spät nachwirkte, kann nicht greifbarer zum
Ausdruck kommen. Gehen die Kompositionen doch in letzter Linie auf das Vorbild der palästinensischen
Mosaiken oder kirchlichen Wandfresken zurück, wie ihre ikonographischen Übereinstimmungen mit den
Ölampullen von Monza (Teil II) erkennen lassen. Dort werden die Kreuzigung und die Frauen am Grabe
in derselben Weise vereinigt. Der historische Bildinhalt ist freilich in der Doppelszene des Rabula-Evange-
liars ein mannigfaltigerer. Sie bietet nicht nur das früheste Beispiel der unabgekürzten Darstellung des
Gekreuzigten im purpurfarbenen Kolobion, sondern es enthält außer den heiligen Frauen auch schon Lon-
ginos mit der Lanze und Stephaton mit dem Essigschwamm und die Gruppe der würfelnden Krieger. Ebenso
ist die Geschichte der Auferstehung dramatischer ausgestaltet. Aus dem Grabbau, der inmitten eines
Gartens steht, brechen Strahlen hervor, deren Gewalt die Wächter zu Boden schleudert. Und dem Gespräch
mit dem Engel entspricht als Gegenbild die Begegnung der Frauen mit dem Auferstandenen. Besonders
nahe steht das Himmelfahrtsbild (Abb. 278) dem Ampullentypus. Nur der Thron fehlt, und hochaufgerichtet
fährt Christus ’gen Himmel. Bereichert ist die Szene durch das der syrischen Phantastik entsprungene
Motiv des Cherubwagens und durch die Gestalten der beiden Engel, die ihren Zuspruch an die Männer
Abb. 278. Himmelfahrt (aus dem Rabula-Evangeliar)
(nach Ch. Diehl, Justinien et la civ. byz. au VI s. 1901).
weitige ikonographische Parallelen in Denk-
mälern des antiochenischen Kreises, so z. B.
für Herodes, der den Kindermord befiehlt 186,
für Maria neben der Krippe (S. 118u.l30) und
Christus im Gespräch mit der Samariterin
(S. 112) oder für das Wunder in Kana, bei
dem das Wasser in die Krüge eingefüllt wird
(S. 128u.200). Syrisch-palästinensischen Ty-
pen schließen sich die Heilungdes Gichtbrüchi-
gen u. a. m. an. Dazu kommen ganz neue
Wendungen,gelegentlich wohl auch aus freier
Erfindung. Den Blinden führt ein Knabe, ein
Krüppel hockt am Boden. Auf Befehl des
Herrn holt Petrus den Stater aus dem Maul
des Fisches. Jonas liegt in voller Gewandung
— der kirchliche Geist mit seiner Scheu vor
dem Nackten macht sich hier geltend — neben
der Stadt Niniveh. Diese Szene und die Ge-
setzesübergabe an Moses hat ihren Platz
über den Kanonesarkaden, wo sonst regel-
mäßigdie Einzelfiguren von Propheten: Aaron
mit dem aufgeblühten Stab, David mit der
Harfe usw. stehen. Die Zweiteilung der Dar-
stellungen bildet in den Wundern die Regel.
Die Szenen der Passion stellt der Künstler
hingegen nach der Zeitfolge, dem linksläufigen
syrischen Schriftzuge entsprechend, einander
gegenüber, das Abendmahl, wo die Hand-
lung liturgisch als die Austeilung des Brots
aufgefaßt und die ganze Apostelschar zu
einer hochgestaffelten Gruppe zusammengedrängt ist (Abb. 277), dem Einzug in Jerusalem, den Tod des
Judas dem Verrat. Nur beim Verhör steht wieder Christus allein Pilatus und dem Diener mit dem Wasser-
becken gegenüber. Überall ist die Komposition auf ihren einfachsten, typischen Ausdruck gebracht. Die
lechnik ist flott bis zur Flüchtigkeit wie auch in der Pariser Handschrift.
Das Evangeliar des Rabula enthält außerdem vier Vollbilder, welche in feierlicher, zentral gebauter
Komposition Kreuzigung, Himmelfahrt, Herabkunft des Heiligen Geistes und eine Apostelversammlung
darstellen. Auffassung und Ausführung bleibt hier auch eine malerische. Grüner Boden mit dunkleren
Schlagschatten, abgetönte blaue Bergferne, rötlicher Widerschein des Sonnenlichts und bläulicher Mond-
schimmer auf den Wolken finden in den erstgenannten beiden Szenen verständnisvolle Wiedergabe. Die
Modellierung der Gestalten wird durch aufgesetzte Lichter gehöht. Wie lebendig der bildmäßige Illu-
sionismus in der hellenistisch-syrischen Buchmalerei noch so spät nachwirkte, kann nicht greifbarer zum
Ausdruck kommen. Gehen die Kompositionen doch in letzter Linie auf das Vorbild der palästinensischen
Mosaiken oder kirchlichen Wandfresken zurück, wie ihre ikonographischen Übereinstimmungen mit den
Ölampullen von Monza (Teil II) erkennen lassen. Dort werden die Kreuzigung und die Frauen am Grabe
in derselben Weise vereinigt. Der historische Bildinhalt ist freilich in der Doppelszene des Rabula-Evange-
liars ein mannigfaltigerer. Sie bietet nicht nur das früheste Beispiel der unabgekürzten Darstellung des
Gekreuzigten im purpurfarbenen Kolobion, sondern es enthält außer den heiligen Frauen auch schon Lon-
ginos mit der Lanze und Stephaton mit dem Essigschwamm und die Gruppe der würfelnden Krieger. Ebenso
ist die Geschichte der Auferstehung dramatischer ausgestaltet. Aus dem Grabbau, der inmitten eines
Gartens steht, brechen Strahlen hervor, deren Gewalt die Wächter zu Boden schleudert. Und dem Gespräch
mit dem Engel entspricht als Gegenbild die Begegnung der Frauen mit dem Auferstandenen. Besonders
nahe steht das Himmelfahrtsbild (Abb. 278) dem Ampullentypus. Nur der Thron fehlt, und hochaufgerichtet
fährt Christus ’gen Himmel. Bereichert ist die Szene durch das der syrischen Phantastik entsprungene
Motiv des Cherubwagens und durch die Gestalten der beiden Engel, die ihren Zuspruch an die Männer
Abb. 278. Himmelfahrt (aus dem Rabula-Evangeliar)
(nach Ch. Diehl, Justinien et la civ. byz. au VI s. 1901).