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Wymetal, Wilhelm von
Spaziergänge in Neapel, Sorrent, Pompeji, Capri, Amalfi, Pästum und im Museo Borbonico — Zürich: Druck und Verlag von Caesar Schmidt, 1877

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https://doi.org/10.11588/diglit.56243#0359
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Gottheit zu nähern, sie raffinirten und destillirten an
dem Werke Gottes so Lange herum, bis das zu Stande
kam, was unsere Aesthetiker ideale Gestalten nennen.
Wie weit der Zeus von Otrieoli von seinem Urahnen
Adam absteht, und wie weit es von Eva bis zu unserer
„lieben Frau von Milo" ist, das weiß ich nicht. Da
wir aber als Gebildete neuester Fa^on dem ersten
besten Orang-Utang die Gefühle kindlicher Verehrung
entgegenzubringen haben, so sind wir sozusagen wissen-
schaftlich verpflichtet, uns die Kluft zwischen den ersten
Eltern und den hellenischen Gottheiten als sehr weit
und tief zu denken. Nach dem Untergange der schönen
Griechenwelt entschwand der Menschheit das Bewußt-
sein der Gottähnlichkeit für mehr als tausend Jahre.
Italien wurde endlich zum neuen Griechenland, zur
jüngeren Lehrerin der Welt. Die Menschen begannen
abermals ihre Geschichte in Tempeln, Statuen und
Gemälden zu schreiben, und die schöne Beseelung durch
die Kunst durchdringt abermals die Höhen und Tiefen,
alle Sphären des Lebens. Selbst schöner geworden, beten
die Generationender Renaissance wieder zu schönen Göttern;
Tizian schmückt dieser Zeit die Wohnungen, Cellini cifelirt
ihr die Becher der Freude, Sansovino bestattet sie im
Schatten seiner Marmorbilder.
Diese zwei idealen Zeitalter sind dahin. Wer sie
schauen, wer sie genießen will, muß sie sich aus ihren
Trümmern construiren. Das Material dieser Recon-
struction sind sümmtliche Museen Europa's, von Peters-
burg bis Madrid, von London bis Neapel.
Das klingt sonderbar, nicht wahr? Gerade als
wenn Jemand behaupten wollte, man müsse die Palmen
in Afrika, die Ananas in Japan, die' Theestaude in
China gesehen und nebenher einige Monate am Nordpol
 
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