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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Wind, Edgar: Zur Systematik der künstlerischen Probleme
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0452
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ZUR SYSTEMATIK DER KÜNSTLERISCHEN PROBLEME. 449

Die Art dieser Verbindung aber bleibt immer ein Problem, — ein Pro-
blem, das sich abwandelt, je nach den Materialsbedingungen der ein-
zelnen Künste. Um es speziell für die bildende Kunst zu kennzeich-
nen, bedarf es zweier anschaulicher Ordnungen, die, aufeinander be-
zogen und zugleich einander entgegengesetzt, die sinnlich-elementaren
Voraussetzungen dieser Kunst zum Ausdruck bringen. Hier scheint
mir nun die Bedeutung der Riegischen Antithese zu liegen. Man
müßte allerdings, um der psychologischen Mißdeutung zu entgehen,
nach einer mehr gegenständlichen Formulierung suchen. Aber — ganz
abgesehen davon, daß es mißlich (und meist auch unnütz) ist, gegen
eine altbewährte Formel anzukämpfen, zumal wenn man ihren Sinn
aufrecht erhält — es dürfte schwer sein, eine nur annähernd so ein-
prägsame und handliche Antithese zu finden; auch wird man immer
wieder auf sachliche Schwierigkeiten stoßen. Man könnte etwa für
»haptische Werte« > Körperwerte«, für »optische Werte« : Lichtwerte«
einsetzen; aber das Körperliche ist nur ein Spezialfall des Haptischen,
und kein ganz reiner. Wählt man anderseits den umfassenderen und
treffenderen Ausdruck >Formenwerte, so erhält man einen allzu blassen
und abgebrauchten, vielleicht sogar mißverständlichen Terminus. Wir
halten daher an Riegls Ausdrucksweise fest.

Die Werte, die der haptischen Ordnung angehören, und die-
jenigen, die sich in der optischen Region entwickeln, rivalisieren
grundsätzlich miteinander; die unbedingte Herrschaft der einen schließt
die Aufhebung der anderen in sich: Wo die Seh werte dominieren,
werden die Tastwerte aufgelöst; wo anderseits die Tastwerte zu abso-
luter Geltung kommen sollen, müssen die Sehwerte unterdrückt werden,
— eben weil es in ihrer Tendenz liegt, die Tastwerte zu zersetzen.
Allerdings ist dieser Radikalismus ein bloß gedachter. In der Erschei-
nung ist kein absoluter Tastwert, kein absoluter Seh wert anzu-
treffen; denn um konstitutive Bedeutung zu gewinnen, sind beide
Ordnungen aufeinander angewiesen; erst ihre Verbindung macht
eine konkret-anschauliche Gestalt aus. Das rein Optische, das aller
haptischen, d. h. formalen Grenzen entbehrt, ist gänzlich amorph wie
das bloße Licht — ein konkretes Etwas, aber kein anschauliches.
Das rein Haptische, Formale, das aller optischen Bestimmungen ent-
behrt, ist gänzlich abstrakt, eine geometrische Figur, — ein anschau-
liches Etwas, aber kein konkretes. Erst die Beziehung beider zu-
einander gibt jedem von ihnen das Gepräge einer anschaulichen Ord-
nung. Zugleich ist diese Beziehung aber der Ausdruck einer Spannung.
Aufgabe des Denkens ist es, die Spannung festzulegen, sie als ideelle
Voraussetzung aller Gestaltung ins Auge zu fassen. Die Gestaltung
selbst aber bekundet sich in der Auseinandersetzung zwischen den

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