BESPRECHUNGEN.
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darmstädtische Trappen (1702) gegeben, in deren Ton sich gewisse Züge finden
die höchst untergeordnet auch bei dem Dichter wiederkehren. Dies würde einer
von uns »oberflächlichen Goethephilologen« in Form einer gelegentlichen Notiz an-
gemerkt haben; wenn es aber ein Professor der Psychiatrie breitspurig vorträgt
und mit ein paar Hinweisen auf »erregliche Natur« bei einem anderen Lindheimer
oder auf körperliche Ähnlichkeiten würzt, so heißt dies: »Sommers Buch wendet ent-
wicklungsgeschichtliche und psychologische Methode auf die Erkenntnis der Goethe-
Natur an.«
Es gab eine Zeit, wo die Theologen, die Philosophen, die Naturforscher alles
am besten wußten, weil sie im Besitz der alleinseligmachenden Methode schwelgten.
Heute sind die Neurologen dran und kritisieren jede fremde Beschäftigung mit den
von ihnen aufgegriffenen Themen so hochmütig wie nur irgend ein Stockphilolog
es könnte. Und worin liegt die Kraft dieser Met'iode? Vor allem in der Einseitig-
keit, die z. B. historische Probleme gar nicht sieht. Wie weit ist denn Lindheimers
ironisch-anschauliche Art individuelle Eigenart? Danach wird gar nicht gefragt.
Dankenswert ist nur der auf schönem Papier gedruckte Tagebuchbericht des
alten Lindheimer. Höchst entbehrlich sind die undeutlichen Bilder aus Wetzlar.
Berlin.
Richard M. Meyer.
Richard Wagner-Jahrbuch, herausgegeben von Ludwig Frankenstein. 2. Band.
Berlin 1907, VII u. 596 S. 8°. Hermann Paetel.
Der stattliche Band enthält reichhaltige und eingehende Aufsätze über bio-
graphische Einzelheiten aus dem Leben Wagners, aus denen ich die Arbeit Ȇber
die mütterlichen Ahnen Richard Wagners« von Stephan Kekule von Stradonitz
hervorheben möchte. Sieben Arbeiten behandeln Themen, denen der Nachweis von
Wagners künstlerischer wie allgemein kultureller Bedeutung zu Grunde liegt. Die
Entwickelung des musikalischen Stils des Meisters sucht Richard Sternfeld in
einem Aufsatze »Zur Entstehung des Leitmotivs bei Richard Wagner« zu verfolgen.
Er glaubt bereits in dem frühesten Werke »Die Feen« das erste Leitmotiv im
Wagnerschen Sinne erkennen zu können. In sehr eingehenden Ausführungen ver-
folgt Karl Grunsky das motivische Gewebe des Vorspieles und ersten Aktes von
Tristan und Isolde, während Robert Petsch den Ring der Nibelungen »in seinen
Beziehungen zur griechischen Tragödie und zur zeitgenössischen Philosophie« be-
handelt. Eine Fülle kleinerer Mitteilungen über alle die Wagnerfrage berührende
1 unkte, eine Übersicht über sämtliche im letzten Jahre erschienenen Zeitungsartikel,
statistische Anführungen, Bücherbesprechungen beschließen den Band, den ein Bild
des Meisters vom Jahre 1862 schmückt und dessen Redaktion mustergültig zu
nennen ist.
Es verbietet sich hier, auf einzelne Beiträge des Sammelwerkes näher einzu-
gehen. Wer aktives Interesse zu dem hier mannigfach variierten Gesamtthema mit-
bringt, wird dem Buche viel des Interessanten und Belehrenden entnehmen können.
Es wendet sich natürlich nur an die Wagnergemeinde im engeren Sinne, und bei
dieser wird auch der vorliegende zweite Band des Jahrbuches gleich dem ersten
freundliche Aufnahme finden.
Als Außenstehender möchte ich hier von meinem vielfach abweichenden Stand-
Punkte, den ich in der Beurteilung der künstlerischen und kulturellen Bedeutung
Wagners vertrete, einige Bemerkungen zu den Darstellungstendenzen beitragen, wie
sie sich nicht allein in der vorliegenden Veröffentlichung, sondern überhaupt in
allen Schriften begeisterter Wagnerianer aussprechen. Mir und vielen anderen ist
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. III. 20
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darmstädtische Trappen (1702) gegeben, in deren Ton sich gewisse Züge finden
die höchst untergeordnet auch bei dem Dichter wiederkehren. Dies würde einer
von uns »oberflächlichen Goethephilologen« in Form einer gelegentlichen Notiz an-
gemerkt haben; wenn es aber ein Professor der Psychiatrie breitspurig vorträgt
und mit ein paar Hinweisen auf »erregliche Natur« bei einem anderen Lindheimer
oder auf körperliche Ähnlichkeiten würzt, so heißt dies: »Sommers Buch wendet ent-
wicklungsgeschichtliche und psychologische Methode auf die Erkenntnis der Goethe-
Natur an.«
Es gab eine Zeit, wo die Theologen, die Philosophen, die Naturforscher alles
am besten wußten, weil sie im Besitz der alleinseligmachenden Methode schwelgten.
Heute sind die Neurologen dran und kritisieren jede fremde Beschäftigung mit den
von ihnen aufgegriffenen Themen so hochmütig wie nur irgend ein Stockphilolog
es könnte. Und worin liegt die Kraft dieser Met'iode? Vor allem in der Einseitig-
keit, die z. B. historische Probleme gar nicht sieht. Wie weit ist denn Lindheimers
ironisch-anschauliche Art individuelle Eigenart? Danach wird gar nicht gefragt.
Dankenswert ist nur der auf schönem Papier gedruckte Tagebuchbericht des
alten Lindheimer. Höchst entbehrlich sind die undeutlichen Bilder aus Wetzlar.
Berlin.
Richard M. Meyer.
Richard Wagner-Jahrbuch, herausgegeben von Ludwig Frankenstein. 2. Band.
Berlin 1907, VII u. 596 S. 8°. Hermann Paetel.
Der stattliche Band enthält reichhaltige und eingehende Aufsätze über bio-
graphische Einzelheiten aus dem Leben Wagners, aus denen ich die Arbeit Ȇber
die mütterlichen Ahnen Richard Wagners« von Stephan Kekule von Stradonitz
hervorheben möchte. Sieben Arbeiten behandeln Themen, denen der Nachweis von
Wagners künstlerischer wie allgemein kultureller Bedeutung zu Grunde liegt. Die
Entwickelung des musikalischen Stils des Meisters sucht Richard Sternfeld in
einem Aufsatze »Zur Entstehung des Leitmotivs bei Richard Wagner« zu verfolgen.
Er glaubt bereits in dem frühesten Werke »Die Feen« das erste Leitmotiv im
Wagnerschen Sinne erkennen zu können. In sehr eingehenden Ausführungen ver-
folgt Karl Grunsky das motivische Gewebe des Vorspieles und ersten Aktes von
Tristan und Isolde, während Robert Petsch den Ring der Nibelungen »in seinen
Beziehungen zur griechischen Tragödie und zur zeitgenössischen Philosophie« be-
handelt. Eine Fülle kleinerer Mitteilungen über alle die Wagnerfrage berührende
1 unkte, eine Übersicht über sämtliche im letzten Jahre erschienenen Zeitungsartikel,
statistische Anführungen, Bücherbesprechungen beschließen den Band, den ein Bild
des Meisters vom Jahre 1862 schmückt und dessen Redaktion mustergültig zu
nennen ist.
Es verbietet sich hier, auf einzelne Beiträge des Sammelwerkes näher einzu-
gehen. Wer aktives Interesse zu dem hier mannigfach variierten Gesamtthema mit-
bringt, wird dem Buche viel des Interessanten und Belehrenden entnehmen können.
Es wendet sich natürlich nur an die Wagnergemeinde im engeren Sinne, und bei
dieser wird auch der vorliegende zweite Band des Jahrbuches gleich dem ersten
freundliche Aufnahme finden.
Als Außenstehender möchte ich hier von meinem vielfach abweichenden Stand-
Punkte, den ich in der Beurteilung der künstlerischen und kulturellen Bedeutung
Wagners vertrete, einige Bemerkungen zu den Darstellungstendenzen beitragen, wie
sie sich nicht allein in der vorliegenden Veröffentlichung, sondern überhaupt in
allen Schriften begeisterter Wagnerianer aussprechen. Mir und vielen anderen ist
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. III. 20