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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 8.1913

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Buchenau, Artur: Zur methodischen Grundlegung der Cohenschen Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3587#0628
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BEMERKUNGEN. 621

objekt, an dem und in dem es sich doch selbst vollziehen muß? In dem Kunst-
werk ist Geist und Seele, die im Marmor in diesem Sinn nicht sind. Nicht
allein Geist, der auch in der Erkenntnis des Marmors sich betätigt, sondern auch
Seele, das will sagen, der absonderliche Zusammenhang von Gedanken, welcher
nicht auf die Natur, sondern auf die Sittlichkeit gerichtet ist (Zeus- oder Athene-
Statue!). So löst sich, scheint es, der ästhetische Gegenstand nicht nur in den
Naturgegenstand der Erkenntnis auf, sondern zugleich auch in den Gegenstand der
Sittlichkeit. Gibt es denn nun aber überhaupt noch eine ästhetische Eigenart ?
Mehr noch als die Logik scheint die Ethik das dritte systematische Glied methodisch
abzuweisen. Eine eigene Grundlegung müsse ausbleiben, weil ein eigener Gegen-
stand ausfalle. Ist ja nicht nur tatsächlich das Kunstwerk an die beiden anderen
Arten von Gegenstand gebunden, sondern auch methodisch bleibt es durch sie
bedingt. Das Kunstwerk muß durchaus erstlich ein Gegenstand der Natur und als
solcher der Naturerkenntnis sein. Und das Kunstwerk muß ferner ein Gegenstand
der Sittlichkeit sein und als ein reiner Gegenstand der sittlichen Erkenntnis erzeug-
bar werden. Diese beiden Bedingungen bleiben unverbrüchliche Bedingungen des
Kunstwerks und des Kunstschaffens. Läßt sich diese doppelte Bedingtheit mit der
ästhetischen Eigenart vereinigen?

Das Problem der Grundlegung wird noch schwieriger, wenn man das Problem
des Gegenstandes nicht in dem Kunstwerk betrachtet, sondern in der Natur, sei
es als schöner Natur, sei es als erhabener. Die Natur — erhaben? Was heißt
das? Die Natur selbst kann doch die Sittlichkeit nicht in sich tragen, so wenig
die Planeten von der Ellipse wissen, die ihre Bahnen beschreiben. Mithin ist es
vielleicht gar nicht Sittlichkeit, die wir in sie hineinlegen dürfen. Die Sittlichkeit
ist das Problem des Menschen, vom Menschen, nicht von der Natur. So bringt
also die Natur selbst das ästhetische Problem an den Tag. Denn es gibt sich als
Illusion zu erkennen, daß wir Einfalt und Frieden, wie Mahnung und Erschütterung
aus der Natur herauslesen. Es fängt nun an, sich aufzuhellen, daß es gar nicht
etwa so steht, als ob das ästhetische Problem vielmehr nur ein ethisches wäre,
sondern der umgekehrte Fall wird ersichtlich: daß in einem ethischen Problem
vielmehr ein ästhetisches enthalten und verborgen ist.

Cohen nimmt hier nun zu dem Begriff der Gesetzlichkeit den des Bewußt-
seins hinzu. Alle bisher erörterten Fragen sind ja Fragen über die Möglichkeit
eines ästhetischen Bewußtseins, eines Gegenstandes für ein ästhetisches Bewußt-
sein. Indessen werden wir das Bewußtsein nicht allein in seiner Objektivierung zu
verwerten haben, sondern wir werden auch versuchen müssen, seine subjektive
Bedeutung für eine Einigung, welche im Bewußtsein selbst sich vollziehen mag,
herauszustellen und festzustellen. Ist doch zu bedenken, daß im ästhetischen
Problem der Gegenstand nicht nur die Wertbedeutung des Besitzes, des Rechtes
und des festen Haltes hat, daß er im Kunstwerk vielmehr auch das autoritative
Hemmnis bedeutet, welches mit dem Vorbild nun einmal verknüpft zu sein
Pflegt. Diese Art von Objektivität hat daher der Anerkennung der Ästhetik sich
immer entgegengestellt; sie bildet auch jetzt noch einen der stärksten Gegengründe
gegen die Möglichkeit einer ästhetischen Gesetzlichkeit. Die notwendige Ein-
schränkung der Objektivität ist ja nun im Grunde schon durch den Satz erfolgt,
der den Eckstein in Kants Begründung der Ästhetik bildet: >Es ist kein objektives
Prinzip des Geschmacks möglich«. Indem Schiller in diesem entscheidenden Punkte
sich voll und ganz auf die Seite Kants stellte, wurde der Pennalismus, der bis dahin
die Ästhetik bedrohte, endgültig beseitigt. Alles Schablonenwesen in ästhetischen
Gesetzen und Vorschriften, aller Autoritätenglaube an die unübertreffliche norm-
 
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