BESPRECHUNGEN. Q31
Begriffe liegt, wird vor ihn gesetzt. Die Eigenschaften, die wir dem Begriffe über-
haupt in seinem Verhältnisse zu den unter ihm befaßten Einzelvorstellungeii zu-
schreiben müssen, wenn wir ihn zum Gegenstände unseres Nachdenkens machen,
werden mit den Eigenschaften der jeweilig in einem Begriff gedachten Gegenstände
identifiziert. Das Denken im Begriffe oder mittels des Begriffes fließt bei Hart
mit dem Denken des Begriffes zusammen. Darum gilt die Auffassungsweise des
Verfassers, wiewohl sie sich zunächst an der Ästhetik zu erhärten sucht, nicht nur
für diese, sondern für jede Wissenschaft. Aber gerade dadurch, daß Hart aus-
drücklich und eingeständlich gegen alle theoretisch-wissenschaftlichen Bemühungen
seinen Bannfluch schleudert, erweist er sein Unrecht und die Ohnmacht dieses
Fluches. Treffen seine Voraussetzungen zu, dann dürfen auch die Naturwissen-
schaften in ihren millionenfach verzweigten Begriffsbildungen auf nichts anderes
kommen als auf »Einheit in der Mannigfaltigkeit« und müssen schließlich mit dieser
Formel alle ihre Gesetze und gattungsmäßigen Objekte bestimmt werden. Ich
bitte aber Hart ernstlich, mir die Naturgeschichte zu zeigen, in welcher für den
Papagei und den Stockfisch, das Rhinozeros und die Heuschrecke, den Löwen und
den Krebs, den Flieder und den Salat, die Buche und das isländische Moos die
Totalcharakteristik »Einheit in der Mannigfaltigkeit« ohne Hinzufügung irgendwelcher
anderer Merkmale geboten wird; ich ersuche ihn, mir ein physikalisches Werk vor-
zulegen, in welchem Elektrizität und Adhäsion, die Voltasche Säule und die lebendige
Kraft für identisch, nämlich für »Einheit in der Mannigfaltigkeit«, erklärt werden;
ich wünsche eine Darstellung der Chemie zu sehen, in welcher behauptet wird,
daß Wasserstoff, Schwefelsäure, Alkohol und Blei, ja auch Zinnober und das
Daltonsche Gesetz, Äther und das Avogadrosche, Salmiak und das Dulong-Petit-
sche, Kupfersulfat und das Gay-Lussacsche Gesetz genau dasselbe, »Einheit in der
Mannigfaltigkeit«, sei.
Der apriorische Beweis für die Gleichheit und darum Wertlosigkeit aller Vor-
stellungen der Ästhetik ist wohl bei weitem die böseste Sache, in welche der Ver-
fasser hineingeraten; sieht man aber recht scharf zu, so entdeckt man, daß er im
Grunde schon vor dem bestimmten Herausrücken mit diesem Argument, schon bei
der Interpretation des Begriffes vom »Wesen der Kunst«, stillschweigend und un-
vermerkt das hier beleuchtete, überaus kurze und einfache Verfahren angewendet
hat. Denn die Rücksichtnahme auf den speziellen Begriffsinhalt war da nur schein-
bar; in Wahrheit kümmerte er sich gar nicht um den Begriff »Kunst«, sondern
hielt sich ausschließlich an den Terminus »Wesen«, und das »Wesen« ist in diesem
Falle natürlich eins mit dem Begriff selber, dessen Eigenschaften nun sorglos auf
seinen Gegenstand übertragen wurden, etwa so, als wenn man die Eigenschaften
des Glases dem Wasser zuschriebe, welchem das Glas als Gefäß dient. Indessen
auch die früher erwähnten, wirklich aus dem jeweiligen Begriffsinhalte geschöpften
Beweise für den Satz, daß die Ästhetik gar nichts anderes als Einheit in der
Mannigfaltigkeit kenne, erscheinen der genauen, eingehenden Prüfung recht schwach
und bedenklich. Wie übel es mit den Hartschen Auslegungen bestellt ist, erkennt
man am besten, wenn man diese angeblichen »Einheits-in-der-Mannigfaltigkeits«-
Begriffe untereinander und mit eben jener Einheit vergleicht, die dem Begriffe als
solchem zugrunde liegt. Bezüglich der Stileinheit ist eine gewisse Verwandtschaft
mit der Einheit des Begriffes allerdings unverkennbar: wenn man von dem Rumohr-
schen Stilbegriff absieht und bei den anderen Stilarten zunächst auf die stilbegrün-
denden Subjekte achtet, so kann man auch wohl den persönlichen Stil zur Total-
vorstellung im Sinne Benno Erdmanns, den Schul-, National-, Zeitstil zum eigent-
lichen Begriff in nähere Beziehung setzen. Wo wir einen Stil anerkennen, da
Begriffe liegt, wird vor ihn gesetzt. Die Eigenschaften, die wir dem Begriffe über-
haupt in seinem Verhältnisse zu den unter ihm befaßten Einzelvorstellungeii zu-
schreiben müssen, wenn wir ihn zum Gegenstände unseres Nachdenkens machen,
werden mit den Eigenschaften der jeweilig in einem Begriff gedachten Gegenstände
identifiziert. Das Denken im Begriffe oder mittels des Begriffes fließt bei Hart
mit dem Denken des Begriffes zusammen. Darum gilt die Auffassungsweise des
Verfassers, wiewohl sie sich zunächst an der Ästhetik zu erhärten sucht, nicht nur
für diese, sondern für jede Wissenschaft. Aber gerade dadurch, daß Hart aus-
drücklich und eingeständlich gegen alle theoretisch-wissenschaftlichen Bemühungen
seinen Bannfluch schleudert, erweist er sein Unrecht und die Ohnmacht dieses
Fluches. Treffen seine Voraussetzungen zu, dann dürfen auch die Naturwissen-
schaften in ihren millionenfach verzweigten Begriffsbildungen auf nichts anderes
kommen als auf »Einheit in der Mannigfaltigkeit« und müssen schließlich mit dieser
Formel alle ihre Gesetze und gattungsmäßigen Objekte bestimmt werden. Ich
bitte aber Hart ernstlich, mir die Naturgeschichte zu zeigen, in welcher für den
Papagei und den Stockfisch, das Rhinozeros und die Heuschrecke, den Löwen und
den Krebs, den Flieder und den Salat, die Buche und das isländische Moos die
Totalcharakteristik »Einheit in der Mannigfaltigkeit« ohne Hinzufügung irgendwelcher
anderer Merkmale geboten wird; ich ersuche ihn, mir ein physikalisches Werk vor-
zulegen, in welchem Elektrizität und Adhäsion, die Voltasche Säule und die lebendige
Kraft für identisch, nämlich für »Einheit in der Mannigfaltigkeit«, erklärt werden;
ich wünsche eine Darstellung der Chemie zu sehen, in welcher behauptet wird,
daß Wasserstoff, Schwefelsäure, Alkohol und Blei, ja auch Zinnober und das
Daltonsche Gesetz, Äther und das Avogadrosche, Salmiak und das Dulong-Petit-
sche, Kupfersulfat und das Gay-Lussacsche Gesetz genau dasselbe, »Einheit in der
Mannigfaltigkeit«, sei.
Der apriorische Beweis für die Gleichheit und darum Wertlosigkeit aller Vor-
stellungen der Ästhetik ist wohl bei weitem die böseste Sache, in welche der Ver-
fasser hineingeraten; sieht man aber recht scharf zu, so entdeckt man, daß er im
Grunde schon vor dem bestimmten Herausrücken mit diesem Argument, schon bei
der Interpretation des Begriffes vom »Wesen der Kunst«, stillschweigend und un-
vermerkt das hier beleuchtete, überaus kurze und einfache Verfahren angewendet
hat. Denn die Rücksichtnahme auf den speziellen Begriffsinhalt war da nur schein-
bar; in Wahrheit kümmerte er sich gar nicht um den Begriff »Kunst«, sondern
hielt sich ausschließlich an den Terminus »Wesen«, und das »Wesen« ist in diesem
Falle natürlich eins mit dem Begriff selber, dessen Eigenschaften nun sorglos auf
seinen Gegenstand übertragen wurden, etwa so, als wenn man die Eigenschaften
des Glases dem Wasser zuschriebe, welchem das Glas als Gefäß dient. Indessen
auch die früher erwähnten, wirklich aus dem jeweiligen Begriffsinhalte geschöpften
Beweise für den Satz, daß die Ästhetik gar nichts anderes als Einheit in der
Mannigfaltigkeit kenne, erscheinen der genauen, eingehenden Prüfung recht schwach
und bedenklich. Wie übel es mit den Hartschen Auslegungen bestellt ist, erkennt
man am besten, wenn man diese angeblichen »Einheits-in-der-Mannigfaltigkeits«-
Begriffe untereinander und mit eben jener Einheit vergleicht, die dem Begriffe als
solchem zugrunde liegt. Bezüglich der Stileinheit ist eine gewisse Verwandtschaft
mit der Einheit des Begriffes allerdings unverkennbar: wenn man von dem Rumohr-
schen Stilbegriff absieht und bei den anderen Stilarten zunächst auf die stilbegrün-
denden Subjekte achtet, so kann man auch wohl den persönlichen Stil zur Total-
vorstellung im Sinne Benno Erdmanns, den Schul-, National-, Zeitstil zum eigent-
lichen Begriff in nähere Beziehung setzen. Wo wir einen Stil anerkennen, da