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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 9.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.3043#0459
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BESPRECHUNGEN. 453

Vollständigkeit. Hätte er aus dem Wesen seines Problems die verschiedenen Mög-
lichkeiten entwickelt, gleichsam fächerförmig ausgebreitet, und dann auf weitester
Erfahrungsgrundlage mit all den Mitteln — die William Stern in meisterhafter Weise
angibt — das Material gewonnen und gegliedert, so wäre durch Kreuzung dieser
Standpunkte weit mehr herausgekommen als das trübselige Ergebnis, das Bern-
heimer uns auftischt. Aber all diese typischen Verschiedenheiten — und es gibt
deren viele und wichtige, die Bernheimer gar nicht entwickelt — beweisen 'doch
nichts gegen eine durchgreifende Gesetzlichkeit der Kunst und sie heben auch keines-
wegs die Gesetzlichkeit des Ästhetischen auf. Sind sie denn nicht gerade not-
wendiger Ausfluß jener Gesetzlichkeit? Hier steckt das eigentliche Problem; es ist
nicht schwer, sich dabei zu beruhigen, daß anscheinend Verschiedenes eben ver-
schieden ist, und auf die Frage nach der durchwirkenden Einheit zu verzichten.
Dann müßte ihre Unmöglichkeit, ihr Widersinn nachgewiesen werden, der aber
nicht daraus folgt, daß der eine »formal« und der andere »inhaltlich« genießt. Nur
so gelangt Bernheimer bei Ablehnung aller Ästhetik zu dem überraschenden Er-
gebnis, philosophische Kunstwissenschaft löse sich in angewandte Psychologie und
Ethik aus. Vor zwanzig Jahren hätte er vielleicht etlichen Beifall geerntet, heute
werden die meisten verwundert den Kopf schütteln, wie spurlos alle methodischen
Diskussionen an ihm vorbeigegangen sind. Den Fragen »was ist das Wesen der
Kunst?« und »was ermöglicht die Kunst?« gegenüber versagt alle »angewandte
Psychologie« und »angewandte Ethik«. Ihre Früchte merkt man sogleich in der
Bestimmung des Kunstgenusses. Da Bernheimer das Problem des »angemessenen
Kunstgenusses« eigentlich nicht anerkennt, ebensowenig wie das des ästhetischen
Genießens, ist seine Definition in ihrer fast grenzenlosen Weitmaschigkeit belang-
los. Ich sehe z. B. eine Venusstatue, und es entkeimt ein heftiges sexuelles Ge-
nießen; ist dieser durch das »Auge« vermittelte Genuß auch noch Genuß an dem
Kunstwerk? Oder ich höre ein Signal und freue mich, daß nun bald der Zug
kommt, in dem mein Freund sitzt. Ist dieser durch das Ohr vermittelte Genuß
auch nur irgendwie Kunstgenuß? Bernheimer hat wieder eine wichtige Unter-
scheidung vergessen: das Problem, was man alles angesichts von Kunstdingen er-
leben kann, ist ein ganz anderes, als jenes der Betrachtungstypen, die ihre Erfül-
lung in bestimmten Kunstrichtungen, Kunstarten usw. finden. Ihre Möglichkeiten
sind jedoch durch das Wesen der Kunst begrenzt, und damit scheiden manche
Verhaltungsweisen gleich aus, die zwar psychologisch interessant sein mögen, aber
nicht kunstphilosophisch. Für eine weitere Auseinandersetzung besteht kein Anlaß;
hoffentlich überwindet Bernheimer bald diese Art halbwissenschaftlicher Arbeit und
stellt sich in den Dienst ernster Forschung. Allerdings wird er dann nicht gleich
eine ganze »Kunstphilosophie« veröffentlichen können. Diese wird freilich nicht
lange die Öffentlichkeit beschäftigen.

Rostock. Emil Utitz.

Eduard Wechßler, Paul Verlaine (1844—96). Seine Kunst und sein Glaube.
Rede an des Kaisers Geburtstag. Marburg in Hessen, N. G. Elwertsche Ver-
lagsbuchhandlung, 1914. 50 S.
Verlaine und Wilhelm II. haben nicht viel Gemeinsames — sollen auch nicht.
Das pflegt man aber in Kaisergeburtstagsreden nicht zu sagen: charakterisieren
und abgrenzen, meint man, passe nicht in die Feststimmung. Auch Wechßler sagt
es nicht, und so wirkt Einleitung und Schluß dieser Schrift nur störend und sollte
künftig fortbleiben. Seine Arbeit hat den hüllenden Mantel einer akademischen
 
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