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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Drost, Willi: Über Wesensdeutung von Landschaftsbildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0285
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ÜBER WESENSDEUTUNG VON LANDSCHAFTSBILDERN. 281

den uninteressierten Freiraum nicht als gegeben und allumfassend hin-
nehmen. In dieser Sprache der Unendlichkeit durch das naturhafte
Wesen ist auch die Zeitlosigkeit der Holländer begründet. Es liegt
die eigentümliche Erscheinung vor, daß die ungeistigsten Menschen
in großartiger Weise eine geistige, immaterielle Wesenheit der Welt
zum Ausdruck bringen.

Es gibt nur wenige auf philosophische Begriffe zu bringende
Grundeinstellungen des Menschen zur Welt. Immer handelt es sich
um das Verhältnis des denkenden Individuums zum Sein des Alls, in
das es doch mit eingeschlossen ist. Ist das Sein der Welt wirklich
objektiv und wird es uns nur durch die Sinne vermittelt, oder wird
es vom Geist erst schöpferisch hervorgebracht. Geist und Materie
sind die polaren Gegensätze, die als Ausgangspunkte für das Erkennen
genommen mit den Begriffen Idealismus und Realismus bezeichnet
werden. Wir verstehen hier unter diesen Bezeichnungen mehr als bloße
Formen der Erkenntnis. Wir fassen sie metaphysisch gegründet aus
dem Gefühl eines tiefen von allem Erkennen unabhängigen Wesens-
unterschiedes, das die Richtung des Erkennens erst bestimmt und die
Folgerungen bis ins ethisch-religiöse Leben zieht.

Der Mensch, der im Verhältnis zu den Dingen seiner Umwelt in
der Bewußtseinlage lebt, daß dieser Baum, diese Hütte unter dem
weiten Himmel ihre unerschütterliche Existenz haben und in nichts
mit seinem menschlichen Bewußtsein zusammenhängen, er lebt im
engen Bereiche, als wenn es so sein müßte und es nichts Selbstver-
ständlicheres gäbe. Die Natur seines Körpers und die Notwendigkeit
des Lebens gibt ihm die Richtschnur seines Handelns. Die leiblichen
Genüsse sind das Ziel seines Vergnügens. Anders, wenn der Mensch
in dem Gefühl lebt, er baut sein Haus, er ordnet sein Leben nach
eigenem Willen, er unterfängt sich, selbst die großen Gesetze des
Universums als von seinem Erkennen abhängig zu sehen, und in Frei-
heit unterzieht er sich einem selbst aufgestellten Sittengesetze, das die
Herrschaft über die naturhaften Triebe dokumentiert. In den hol-
ländischen Werken lebt ein unbedingter Glaube an die mannigfaltigen
unser alltägliches Dasein umgebenden Dinge bis zu einer uns er-
schütternden Hingabe. Ihr Sein, ihr Dasein an und für sich ist dem
holländischen Maler genügender Vorwurf zur künstlerischen Gestaltung,
und so wird ergriffen, was sich den Augen bietet, das menschliche
Porträt, die Landschaft, Architektur, Blumen, Tiere und anderes. Auch
das Zufällige wird mit der ganzen Hingabe an seine Existenz ge-
malt bis auf die Feder, die sich von dem Gefieder eines auf dem
Tische liegenden Rebhuhns losgelöst hat, wie sie sanft zur Erde gleitet.
Es gibt nichts Wichtiges und Unwichtiges, nichts Notwendiges und


 
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