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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Höver, Otto: Kunstcharaktere südabendländischer Völker
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0397
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KUNSTCHARAKTERE SÜDABENDLÄNDISCHER VÖLKER. 393

Bildhauerschulen unter Augustus bestätigt wird. Soweit die figurale
Plastik in Frage kommt, können wir das im gewissen Sinne einräumen.
Das Echt-Römische und Abendländisch-Italische, das den Porträtbüsten
der späten Republik innewohnt, bricht aber während der Kaiserzeit
eben in der Raumgesinnung hervor, ist in den gewaltigen schöpferi-
schen Architekturwillen des ersten nachchristlichen Jahrhunderts hinein-
verlegt. Daß trotzdem auch in der Plastik ein echt römischer Kunst-
wille weiterlebt, hob schon Julius von Schlosser hervor: »In diesem
intransigenten Realismus (Münzporträte der Kaiserzeit) liegt die histo-
rische Bedeutung der solange verächtlich beiseite geschobenen römi-
schen Kunst, deren Wesen nicht in der Kopistenarbeit ihrer Oräkuli,
sondern darin zu suchen ist, daß sie das große, vom Hellenismus
unterbrochene Werk des echt nationalen Griechentums aufgenommen
und weitergeführt hat.«

Wie sich die quattrocentistischen Bildhauer von Florenz zu den
baukünstlerischen Taten der Hochrenaissancemeister in Rom (Bramante)
verhalten, in der gleichen äußeren wie tiefinneren Beziehung stehen
die republikanischen Charakterköpfe der Plastik zum kaiserlichen Rom.
Mögen die Kaiser Roms im Punkte der Moral gewesen sein, wie sie
wollen, das geht uns nichts an. Die schöpferische Geste, der Bauwille
ist entscheidend, gleichviel ob im alten Rom oder bei den Florentiner
Finanzleuten.

Es kann eingewandt werden, griechische Bildhauer — auch im
Hellenismus war das realistische Porträt zum Hauptthema geworden —
hätten die republikanischen Römer porträtiert. In manchen Fällen
sicherlich, doch was so auffallend im 15. Jahrhundert wiederersteht
ohne Griechen, das muß schon damals in der Antike römisch und
italienisch der künstlerischen Urheberschaft nach gewesen sein. Die
hellenistischen Porträtköpfe, die optisch-impressionistisch gestaltet sind
(sogenannter Seneca), verhalten sich zu unseren taktischen Römern
plastisch wie ein Rodin zum Quattrocento. Echt italienisch bleibt
immer der Typus der Dargestellten, ob ein römischer Konsul, Latifun-
dienbesitzer oder ein florentinischer Bankier, der innere Kern ist ur-
wüchsiges, bodenständiges, realpolitisches Bauerntum. Das Rustikale
erscheint als bindende Formel für die Dorier und abendländischen
Italiener. Dorische Plastik, römische und quattrocentistische Porträte
sind erdfeste Bauernkunst edelsten Geblütes. Die künstlerische Ein-
stellung, die wir hier mit dem terminus technicus taktisch belegen, ist
in dieser bodenfesten Bäuerlichkeit verankert. Man will das Reale, ist
jeder ideologischen Verstiegenheit abhold und bringt trotzdem, nein
gerade deshalb, die höchsten Leistungen zustande. Überall hat man
Boden unter den Füßen. In den Behausungen dieser Menschen darf


 
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