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BESPRECHUNGEN.
besonderes Verhältnis zur Zahl zu: weil er rechnet. Und er vergißt darüber, daß
die Zahl im Rekord zum ästhetischen Spannungserlebnis und als Größe zum ästhe-
tischen Erhabenheitserlebnis wird, daß die Zahl überhaupt zwar Mathematik aber
auch Ästhetik ist, je nachdem man sie als Verstandesfunktion oder als Gefühls-
Eigenwert erlebt.
Damit, daß Schultz Praktiker und Ästheten bedingungslos trennt, tut er der
Grundstruktur beider Gebiete Gewalt an. Denn Praktik verhält sich zur Ästhetik
wie Mittel zum Ziel. Alle Praktik strebt immer irgend einem ästhetischen Erlebnis
entgegen. Im ethischen Gebiet selbst heißt die Praktik Utilitarismus, die Ästhetik
Hedonismus. Durch die meist übersehene Wesensberührung zwischen Ästhetik
und Hedonismus ordnet sich das Ästhetische dem umfassenderen ethischen Ab-
lauf ein. Schultz aber ist ein Feind des Hedonismus, obwohl er den Ästheten
für seine Person am höchsten stellt. Er verkennt die überhedonische Bedeutung
des Hedonismus innerhalb der Ethik, und daß sich dem Hedonismus überhaupt
nicht entfliehen läßt. Das Grundapriori aller Ethik »Ich werte« enthält ja bereits im
Wertgefühl das hedonistische Element. Der Hedonismus ist eben in Wahrheit selbst
bereits das Apriori aller Ethik. Und bei allen Begriffen, die ethische Motivationen
bedeuten, wie Pflicht, Gewissen, objektiver Wert, fehlt uns das letzte Begreifen
dafür, daß man ihnen jedes Opfer bringt, wofern wir uns nicht in den Lustgehalt
einfühlen, der auch noch im Ertragen von Schmerzen für eine Gewissenssache, von
Opfern für eine Pflicht liegen kann. Erst dann und nur dann empfinden wir die
Handlung spontan als begründet und keiner weiteren Erklärung mehr bedürftig,
wenn wir dieses Lustelement entdeckt haben. Dagegen wüßten wir ohne es keinen
zureichenden Grund weiter anzugeben, auch für die Gewissens- und Pflichthand-
lungen. Das hedonistische Element ist also in der Ethik zugleich auch eine logische
Forderung und die wichtigste logische Stütze aller ethischen Konstruktionen. Das
hedonistische Apriori ist die Stütze der logischen Evidenz innerhalb der Ethik.
Schultz kommt zur Verurteilung des Hedonisten, weil sein ästhetischer Typus
fälschlich nicht Genießer, sondern Künstler, nämlich Selbstdarsteller ist. Im Selbst-
darsteller aber sieht er den hohen Idealisten, der jener Typus garnicht unbedingt
ist, trotz seiner Nähe zum Rigorismus (da er Zweckgesichtspunkte ablehnt). Man
muß nämlich unterscheiden, ob einer das Vollkommene überall verwirklichen will
und also auch in sich, oder ob er sich selbst erhöhen will durch die Verwirklichung
der Vollkommenheit in seiner eigenen Person. Es kommt hier alles darauf an, ob
jemand das Vollkommene ver-ichen und dadurch konkretieren, oder das Ich vervoll-
kommnen und dadurch erhöhen will.
Julius Schultz überbaut seine beiden Typen des Praktikers und des Ästheten
jeden mit einem höchsten Oberbegriff. Und dabei verwandelt sich sein Ästhet aus
dem Mimeten, dem Selbstdarsteller plötzlich in einen Genießer. Für den Praktiker
ist, so lehrt Schultz nämlich, das oberste Ziel Stärkung der eigenen Gattung, für
den Ästheten dagegen heißt das höchste Ziel: Freude an der Weltmannigfaltigkeit.
Es leuchtet ein, daß hier zwei Begriffe von ganz verschiedener Weite koordiniert
sind, ein biologischer und ein kosmischer. Dem Schreiber dieser Zeilen ist es gewiß
sympathisch, daß Schultz die Ellipse des Weltgeschehens um zwei Brennpunkte kreisen
läßt, aber diese müßten dann wohl Einheit und Vielheit (besser noch Ein-Vielheit)
heißen, da sie doch gleichen höchsten Ranges sein müssen. Der Fülle entspricht
die Einheit, und zwar auch da, wo sie nicht Volkseinheit ist, wie bei unserem
Autor.
Schultz glaubt, daß seine beiden Ziele tatsächlich allem Handeln der Menschen
zugrunde liegen, d. h. er spricht ethische Naturgesetze aus, oder findet Tendenzen,
BESPRECHUNGEN.
besonderes Verhältnis zur Zahl zu: weil er rechnet. Und er vergißt darüber, daß
die Zahl im Rekord zum ästhetischen Spannungserlebnis und als Größe zum ästhe-
tischen Erhabenheitserlebnis wird, daß die Zahl überhaupt zwar Mathematik aber
auch Ästhetik ist, je nachdem man sie als Verstandesfunktion oder als Gefühls-
Eigenwert erlebt.
Damit, daß Schultz Praktiker und Ästheten bedingungslos trennt, tut er der
Grundstruktur beider Gebiete Gewalt an. Denn Praktik verhält sich zur Ästhetik
wie Mittel zum Ziel. Alle Praktik strebt immer irgend einem ästhetischen Erlebnis
entgegen. Im ethischen Gebiet selbst heißt die Praktik Utilitarismus, die Ästhetik
Hedonismus. Durch die meist übersehene Wesensberührung zwischen Ästhetik
und Hedonismus ordnet sich das Ästhetische dem umfassenderen ethischen Ab-
lauf ein. Schultz aber ist ein Feind des Hedonismus, obwohl er den Ästheten
für seine Person am höchsten stellt. Er verkennt die überhedonische Bedeutung
des Hedonismus innerhalb der Ethik, und daß sich dem Hedonismus überhaupt
nicht entfliehen läßt. Das Grundapriori aller Ethik »Ich werte« enthält ja bereits im
Wertgefühl das hedonistische Element. Der Hedonismus ist eben in Wahrheit selbst
bereits das Apriori aller Ethik. Und bei allen Begriffen, die ethische Motivationen
bedeuten, wie Pflicht, Gewissen, objektiver Wert, fehlt uns das letzte Begreifen
dafür, daß man ihnen jedes Opfer bringt, wofern wir uns nicht in den Lustgehalt
einfühlen, der auch noch im Ertragen von Schmerzen für eine Gewissenssache, von
Opfern für eine Pflicht liegen kann. Erst dann und nur dann empfinden wir die
Handlung spontan als begründet und keiner weiteren Erklärung mehr bedürftig,
wenn wir dieses Lustelement entdeckt haben. Dagegen wüßten wir ohne es keinen
zureichenden Grund weiter anzugeben, auch für die Gewissens- und Pflichthand-
lungen. Das hedonistische Element ist also in der Ethik zugleich auch eine logische
Forderung und die wichtigste logische Stütze aller ethischen Konstruktionen. Das
hedonistische Apriori ist die Stütze der logischen Evidenz innerhalb der Ethik.
Schultz kommt zur Verurteilung des Hedonisten, weil sein ästhetischer Typus
fälschlich nicht Genießer, sondern Künstler, nämlich Selbstdarsteller ist. Im Selbst-
darsteller aber sieht er den hohen Idealisten, der jener Typus garnicht unbedingt
ist, trotz seiner Nähe zum Rigorismus (da er Zweckgesichtspunkte ablehnt). Man
muß nämlich unterscheiden, ob einer das Vollkommene überall verwirklichen will
und also auch in sich, oder ob er sich selbst erhöhen will durch die Verwirklichung
der Vollkommenheit in seiner eigenen Person. Es kommt hier alles darauf an, ob
jemand das Vollkommene ver-ichen und dadurch konkretieren, oder das Ich vervoll-
kommnen und dadurch erhöhen will.
Julius Schultz überbaut seine beiden Typen des Praktikers und des Ästheten
jeden mit einem höchsten Oberbegriff. Und dabei verwandelt sich sein Ästhet aus
dem Mimeten, dem Selbstdarsteller plötzlich in einen Genießer. Für den Praktiker
ist, so lehrt Schultz nämlich, das oberste Ziel Stärkung der eigenen Gattung, für
den Ästheten dagegen heißt das höchste Ziel: Freude an der Weltmannigfaltigkeit.
Es leuchtet ein, daß hier zwei Begriffe von ganz verschiedener Weite koordiniert
sind, ein biologischer und ein kosmischer. Dem Schreiber dieser Zeilen ist es gewiß
sympathisch, daß Schultz die Ellipse des Weltgeschehens um zwei Brennpunkte kreisen
läßt, aber diese müßten dann wohl Einheit und Vielheit (besser noch Ein-Vielheit)
heißen, da sie doch gleichen höchsten Ranges sein müssen. Der Fülle entspricht
die Einheit, und zwar auch da, wo sie nicht Volkseinheit ist, wie bei unserem
Autor.
Schultz glaubt, daß seine beiden Ziele tatsächlich allem Handeln der Menschen
zugrunde liegen, d. h. er spricht ethische Naturgesetze aus, oder findet Tendenzen,