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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0343
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BESPRECHUNGEN.

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vismus" dieser Problemgeschichte mißverstanden, die ja auch in ihrem Programm
von 1924 die Diltheysche Basis (Dichtung als „Lebensdeutung") nicht aufgibt.
Die Polemik gegen die in mehreren Stadien der literarwissenschaftlichen Arbeit
befreiende Wandlungsfähigkeit und -freudigkeit Walzels mit ihren höhnischen
Zweifeln an dem wissenschaftlichen Ethos seiner Lebensarbeit fällt peinlich ver-
stimmend aus der sonstigen, noch in den knappen Andeutungen von Wert und
Unwert gerecht abwägenden, im ganzen mehr referierenden Haltung dieser Skizze
heraus.

Qöttingen. Kurt May.

Siegmund Bing: Jakob Wassermann. Weg und Werk des
Dichters. Nürnberg, Ernst Frommann & Sohn, 1929, 259 S.

Die vorliegende Arbeit gibt die erste größere Darstellung von Leben und Werk
jakob Wassermanns. Sie verfolgt — wie es im Vorwort heißt — die Intention
„einer Annäherung des geistig gestimmten Publikums an das große Werk des
Zeitgenossen". Diese publizistische Absicht wird unterstützt durch zahlreiche Bild-
und Faksimilebeigaben; sie wird wenigstens teilweise erreicht durch wertvolle Ein-
blicke in den verschlungenen Schicksalsgang des jungen Wassermann, die der Ver-
fasser mit Hilfe eines noch ungedruckten autographischen Romans des Dichters
geben kann.

Mit liebevollem Vertändnis spürt er in den beiden ersten Abschnitten „Vom
Weg" und „Zum Werk" der verwickelten Entwicklung dieses Geistes nach. In drei
Abteilungen des letzten Abschnittes „Frühe Schöpfung", „Erprobung und Reife",
„Vom Wendekreis zum Mauritius" spricht Bing dann die Einzelwerke Wassermanns
durch.

Die Wesensmitte des Dichters und die Gelenke seiner Werke werden richtig er-
kannt. In „Caspar Hauser" sieht B. treffend den „Orgelpunkt des epischen Werkes",
in dem Kampf um Gerechtigkeit wider die Trägheit des Herzens erblickt auch er die
Sendung dieses ethischen Romanciers. Aber nur selten gelingt ihm eine konzen-
trierte Formulierung wie die folgende: „immer ruft Mißhandlung im Sinne des
Dichters zur Handlung auf" (S. 100). Der Grund dieses Mangels liegt in der ge-
ringen Intensität des Buches, vor allem aber in seinem oft völlig wesenlosen, aus-
geklügelten und unsicheren Stil (z. B. S. 2: „Jean Pauls Frühling blieb unentwun-
dert", S. 106: „aber über Wassermanns Kindheit plante das Blut von Generationen").

Beides erschwert auch die wissenschaftliche Auswertung dieser Arbeit. Denn
an sich könnte das, was wir hier von Leben und Leistung Wassermanns erfahren,
einen wertvollen Beitrag zu der ästhetischen Zentralfrage: Einzelerlebnis und Grund-
erfahrung, Grunderfahrung und dichterisches Werk liefern. Das schwerblütige Erbe
der Ahnen, die Eindrücke und Erschütterungen der eigenartigen Jugend, die Geburts-
wehen einer Individualität, die sich nicht durch die Kategorie des „Künstlers" im
Sinne von Th. Manns Tonio Kröger erledigen läßt, sie haben in allen Werken Wasser-
manns, den schwächeren wie den stärkeren, ihren charakteristischen Niederschlag
gefunden. Die orientalische Fabulierkunst dieses Dichters steht letztlich doch ganz
im Dienste des Bemühens, seine Grunderfahrungen, durch die er auf wesentliche
„Lebensbezüge" (Dilthey) gestoßen ist, bildhaft zu verdichten. Ein miterlebtes
Schicksal, wie etwa der Verzweiflungstod seines Militärburschen, der ein Prügel-
knabe aller gewesen war, wurde in diesem Dichter zum Ankläger wider die Schlaff-
heit des menschlichen Herzens. Blitzartig legte sie jenen Leitstrang seiner geistigen
Existenz bloß, der dann später als ergreifender Ruf zu hilfreichem Verstehen alle
 
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