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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Wulff, Oskar: Kernfragen der Kinderkunst und des allgemeinen Kunstunterrichts der Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0094
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OSKAR WULFF.

er noch eine beträchtliche Anzahl vollrunder Figuren, wie sie in anderen
Fällen durchaus die Regel bilden — und Reliefgestalten die Ausnahme.
Ebensowenig unterliegt es einem Zweifel, daß die Kinderfehler der Zeich-
nung nur in solchen vorkommen. Dennoch, — im Grunde vielmehr ge-
rade deswegen, — ist es ein ziemlich verbreiteter Fehlschluß, daß durch
das Modellieren oder anderweitige plastische Gestaltung die optische
Wiedergabe von Körper und Raum wesentlich gefördert werden könnte.
Denn es handelt sich hier und dort um eine ganz verschiedene Verwirk-
lichung der Sehvorstellung, — in der Bildnerei um eine vollwertige
(haptische) im Räume selbst, in der Zeichnung aber nur um eine schein-
bare flächenhafte (optische) oder, wie ich das schon an anderer Stelle
ausgedrückt habe, um die Ableitung einer Sehform (zumal einer ver-
schobenen der Nebenansichten) von dem körperhaften Vorbilde (bzw. von
der Sehvorstellung, in der es aufgefaßt oder erinnert wird). Daraus
folgt, daß das Zeichnen nach dem Gegenstande ein unentbehrliches
Lehrmittel bleiben wird, wenn eine Schulung von „Auge und Hand" im
bewußten Sehen erzielt werden soll. Es kann auch nicht zweifelhaft sein,
wann diese Aufgabestellung im Unterricht einsetzen muß: — im halb-
wüchsigen Alter, in dem sich der beobachtende Blick des Kindes bereits
auf die Außenwelt richtet. Nicht so einfach zu beantworten ist die Frage,
auf welchem Wege die Einführung in die Perspektive erfolgen soll. Da-
für gibt uns aber Bakusinskij wichtige Fingerzeige.

Ohne den systematischen Aufbau des Kunstunterrichts, wie ihn der
russische Kunsttheoretiker begründet, hier bis in seine letzten Maßnah-
men erörtern zu können, halte ich es für unerläßlich, seine überaus
folgerichtig durchgeführten Grundgedanken der gewissenhaften Prüfung
aller Kunstpädagogen nahezulegen. Auch Bakusinskij will die künstle-
rische Betätigung auf natürliche Weise aus dem Spiel hervorwachsen
lassen, ihre Entfaltung aber auf allen Entwicklungsstufen durch eine
zielklare Führung der in jedem Alter wirksamen Anschauungsweise lei-
ten. Ihm kommt es mehr auf die Übung des erwachenden Gestaltungs-
willens als auf die freie Ausdruckstätigkeit des Gefühlserlebnisses an,
dessen einseitige Pflege nach seiner und auch nach meiner Überzeugung
bei der Durchschnittsbegabung zur Erschöpfung führen muß. Nicht die
Beschleunigung, sondern eher die Mäßigung schöpferischer Betätigung
sei anzustreben.

Schon auf der Vorstufe, auf der der Lebensdrang des Kleinkindes
noch vorwiegend von dem Zerstörungstriebe beherrscht wird, soll die
spätere Gestaltung dadurch vorbereitet werden, daß die Erkenntnis für
den Stoff nach Ausdehnung und Oberflächenbeschaffenheit in ihm durch
Darbietung einfacher Formen und Farben gefördert wird. Auf der
visuell-motorischen Entwicklungsstufe müssen dem Spieltriebe die weite-
 
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