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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0216
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202

BESPRECHUNGEN.

Griechen heftet sich an die Körper, an die Einzeldinge, und empfindet den Raum
nur als das, was zwischen den Körpern übrig bleibt, nicht als die übergreifende
Einheit, die den Gegensatz zwischen Körper und Nicht-Körper aufhebt. Antiker
Künstler wie antiker Philosoph kennen nur den Aggregatraum, nicht den System-
raum. Im Verfolg dieses Gedankens kommt P. zu der allgemeinen Feststellung:
„Und gerade hier zeigt sich besonders deutlich, daß der „ästhetische Raum"
und der „theoretische Raum" den Wahrnehmungsraum jeweils sub specic
einer und derselben Empfindung umgeformt zeigen, die in dem einen Falle anschau-
lich symbolisiert, in dem andern aber logifiziert erscheint" (271). Was die Antike
als Vielheit von Einzeldingen dargestellt hatte, zu einer wirklichen Einheit zusam-
menzuschmelzen, ist nach P. die kunstgeschichtliche Mission des Mittelalters. Diese
Einheit muß aber mit der Zerschlagung der bestehenden Einzeldinge erkauft wer-
den. Der Raum wird als Kontinuum begriffen, aber seiner Rationalität, seiner Meß-
barkeit beraubt. Das theoretische Analogon zu dem in der mittelalterlichen Kunst
erstrebten Raumzusammenhang erblickt P. wieder in der Raumauffassung der
gleichzeitigen Philosophie: „in der Lichtmetaphysik des heidnischen und christlichen
Neuplatonismus" (273). Schon die byzantinische Kunst erstrebt die Reduktion des
Raums auf die Fläche; die romanische Kunst hat dies Ziel erreicht. Körper und
Raum sind nun eng miteinander verbunden in Malerei und Plastik: „So findet der
Stil der reinen Fläche, den die Malerei herausgebildet hatte, in der Skulptur
sein Gegenstück in einem Stil der reinen Masse" (275). In der hohen Gotik
wird diese Masse wieder verkörperlicht, doch nicht im Sinne einer Rückkehr zum
Altertum, sondern in Richtung auf die Moderne: die einzelnen Bauglieder bilden
Teileinheiten eines homogenen Ganzen, und es vollzieht sich „zugleich mit der
Emanzipation der plastischen Körper die Emanzipation einer diese Körper in sich
befassenden Raumsphäre" (276). Auch hier wird eine Entsprechung in der Philo-
sophie der Scholastik behauptet (277). Eine Synthese des Gotischen mit dem Byzan-
tinischen ist nötig, um die moderne perspektivische Raumanschauung zu erzeugen.
Sie wird von Giotto und Duccio vollzogen. Diese bahnen die Überwindung des mittel-
alterlichen Darstellungsprinzips an. Darstellungsfläche wird wieder die durchsich-
tige Ebene. Aber nur eine Partialebene wird zunächst perspektivisch vereinheitlicht,
noch nicht die Gesamtebene oder gar der ganze Raum. Es kommt zur Entdeckung
des Fluchtpunktes, die P. als konkretes Symbol für die Entdeckung des Unendlichen
selbst deutet. Norden und Süden gewinnen den modernen Staudpunkt auf verschie-
denen Wegen. Der Norden, der im 14. Jahrhundert das Fluchtachsen- und das
Fluchtpunktverfahren kennt, scheint wesentlich auf empirischem Weg zur korrekten
Konstruktion gelangt zu sein; Italien greift zur mathematischen Theorie. Wahr-
scheinlich hat Brunellesco zuerst ein exaktes mathematisches planperspektivisches
Verfahren entwickelt, Alberti die logische Methode mit der geübten Praxis in Ein-
klang gebracht. Die philosophische Entsprechung: Bruch mit der aristotelischen
Weltanschauung, Preisgabe des geozentrischen Standpunkts, Herausbildung des Be-
griffs der Unendlichkeit. Hatte die Perspektive nun aufgehört, ein technisch-mathe-
matisches Problem zu sein, so begann sie ein künstlerisches Problem zu werden.
Ist sie doch gekennzeichnet durch eine gewisse Ambivalenz: die Geschichte der Per-
spektive ist „Triumph des distanziierenden und objektivierenden Wirklichkeitssinns",
aber auch „Triumph des distanzverneinenden menschlichen Machtstrebens"; ist „Be-
festigung und Systematisierung der Außenwelt" sowohl als „Erweiterung der Ich-
sphäre" (287). Der Anspruch des Gegenständlichen und der des Subjektiven stehen
einander gegenüber. Zeiten, Nationen, Individuen haben zu diesen Problemen in
verschiedener Weise Stellung genommen; dafür werden Beispiele gegeben. Auch
 
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