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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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Del-Negro, Walter: Probleme vergleichender Stilgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0335
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BEMERKUNGEN.

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front an Bedeutung abgelöst wird und damit die geographische, wirtschaftliche und
politische Eroberung der Welt durch den europäischen Menschen einsetzt, in Aus-
nützung der zentralen Lage innerhalb der Halbkugel größter Landmassen und der
günstigen Gliederung, die Europa vor allen übrigen Erdteilen auszeichnet. Vielleicht
stehen wir eben jetzt an der Wende zu einer neuen großen Phase des nun wirklich
planetarisch gewordenen Geschichtsverlaufs, da sich die Erschütterung der euro-
päischen Welthegemonie durch den Weltkrieg und seine Folgen und die steigende
Emanzipation der übrigen Erdteile auf kommerziellem, technischem und machtpoli-
tischem Gebiete immer deutlicher abzuzeichnen beginnt.

Gegenüber diesen übergreifenden, nicht weniger als fünf von den Spenglerschen
Kulturen mit umfassenden Zusammenhängen ließe sich nun etwa einwenden, daß das
Ergebnis im Sinne kulturbiologischer Forschung doch allzu kümmerlich sei, da es
an den Äußerlichkeiten des historischen Lebens haften bleibe und niemals an den
wahren Kerngehalt des Kulturlebens heranführen könne. Aber es sei hier die Frage
zur Überlegung gestellt, ob nicht eine ganze Reihe von Einzelheiten der Spengler-
schen Kultursymbolik ungekünstelt eben aus jenen Gegebenheiten abgeleitet werden
könnte, die mit den Räumen des jeweiligen Kulturgeschehens in Beziehung zu setzen
sind.

Ohne jedoch diese Frage weiter zu verfolgen, soll hier die Alternative, ob nur
kulturgebundene Sonderentwicklung oder auch übergreifende Menschheitsentwicklung
möglich sei, auf einem Teilgebiete untersucht werden, das für Fragen der Kultur-
symbolik ohne jeden Zweifel relevant ist, nämlich auf dem Gebiete der Kunst. Noch
allgemeiner gesagt soll hier dem Problem nachgegangen werden, ob der stilgeschicht-
liche Rhythmus dem kulturbiologischen im Sinne Spenglers durchaus gleichläuft,
daher auch in verschiedenen Kulturen immer wieder in derselben Phasengleichheit
(mit Bezug auf das allgemeine Schema) wiederkehrt — oder ob diese Phasengleich-
heit, sei es in der Richtung nach unten, nach Art eines kurzwelligeren Sonder-
rhythmus, sei es insbesondere in der Richtung nach oben durch übergreifende Gesetz-
mäßigkeiten universalhistorischer Art, durchbrochen erscheint.

Wir bedienen uns hierbei zunächst der Arbeitshypothese, daß die Entwicklung
der griechischen Kunst, vor allem der griechischen Plastik, in ihrem altbekannten
Verlauf für alle Stilentwicklung paradigmatisch sei. Freilich müssen wir uns auf die
allgemeinsten Entwicklungstendenzen beschränken, um nicht Gefahr zu laufen, spezi-
fisch Antikes in andere Kulturen hineinzuinterpretieren. Es kann sich nur um die
Art handeln, wie überhaupt die Bewältigung der Form vollzogen wird. Da läßt sich
nun — vorderhand allein für Hellas — folgendes etwa feststellen:

Die Architektur beginnt mit den wuchtigen Bauten der Frühdorik, bei denen die
tragenden Kräfte der Last des Daches zu erliegen drohen; die Hochdorik findet das
beglückende Gleichgewicht zwischen Last und Kraft, sie erreicht die stolze Schönheit
männlicher Reife, neben sie aber tritt in feiner Vornehmheit, schmalgliedriger, bieg-
samer, schlanker die Ionik, bis zuletzt im vierten Jahrhundert das korinthische
Kapitell malerische Bereicherung und stärkste Betonung eines spielerischen Dekors
bringt. Der Frühdorik parallel finden wir in der bildenden Kunst die Archaik, die
sich ganz allmählich aus dem Geometrischen und Ornamentalen losringt zu immer
größerer Freiheit und Lockerung, dabei aber bis zuletzt ihre keusche Herbheit und
formale Gebundenheit nicht abstreift (man denke an die Koren der Akropolis oder
an den Ludovisithron). Dem Geiste der Hochdorik und der Ionik entsprechen ebenso
die Schöpfungen der klassischen Zeit in ihrem wundervollen Gleichgewicht zwischen
freiester Natürlichkeit und überlegener Ruhe. Das vierte Jahrhundert bringt den
malerischen Stil, also die Ansätze zum griechischen Barock (der vom Hellenismus

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