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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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Del-Negro, Walter: Probleme vergleichender Stilgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0340

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BEMERKUNGEN.

Antike und Byzanz bzw. Vorderasien. Aber all dem gegenüber ließe sich behaupten,
daß diese Berührungen doch allzu äußerlicher Art seien.

Tiefer geht, was seinerzeit Riegl in der „Spätrömischen Kunstindustrie" aus-
einandergesetzt hat. Danach ist die ägyptische Kunst taktisch bzw. auf Nahansicht
eingestellt, sie besitzt nur zwei Dimensionen, keine Schatten, keine Perspektive;
auch die Bauwerke kennen die dritte Dimension kaum, bei der Pyramide ist das
Entscheidende die Dreiecksfläche, der Tempel verleugnet geradezu den Raum. Auch
das Relief ist raumlos, was besonders beim versenkten Relief deutlich wird, der
Grund ist nur Ebene, nicht Raum. Die Rundplastik ist ausschließlich auf die Vorder-
ansicht eingestellt, stark flächig.

Die griechische Kunst bezeichnet Riegl als taktisch-optisch; die für sie charakte-
ristische Ansicht ist die aus normaler Sichtweite. Damit hängt zusammen der
Übergang zur Dreidimensionalität, das Auftreten der Schatten, die körperliche
Gliederung des Tempels durch die Säulen und ihre Zwischenräume (welche wie die
Faltenhöhlen im Gewände wirken). Aber wichtiger als der Raum selbst ist vorläufig
noch die Raumgrenze, die Isolierung des Körpers gegenüber der Umwelt.

Erst in der spätrömischen Kunst tritt das optische Element gegenüber dem
taktischen stärker hervor, die Fernsicht wird maßgebend (weshalb die plastische
Modellierung zurücktritt), der Raum gewinnt zum ersten Mal (im Kuppelbau)
Eigenwert, wird aber noch deutlich gegenüber der Umgebung isoliert.

Die abendländische Kunst schließlich wird rein optisch, bis zum impressio-
nistischen Verschwimmen der Grenzen.

Hier wird also eine einheitliche, von Altägypten bis in die Gegenwart reichende
Richtungslinie aufgezeigt, die eindeutig von der reinen Flächenhaftigkeit über die
plastische Körperlichkeit zum Raum fortschreitet. Hand in Hand damit geht nach
Riegl der Übergang von starrer Symmetrie bei den Ägyptern zu größerer Natür-
lichkeit bei den Griechen und gesteigerter Beweglichkeit in der abendländischen
Kunst, also von größter Statik zu größter Dynamik. Ebenso der von starker
Zurückdrängung des Seelenausdruckes, besonders des individualistischen, zu immer
intensiverer und individualistischerer Ausdrucksbetonung.

Ergänzend stellen sich zu diesen Gedankengängen die beachtenswerten Aus-
führungen H. Schäfers über den Unterschied zwischen der „vorstelligen" Kunst
der Ägypter und der „wahrnehmigen", die zuerst bei den Griechen des 5. Jahr-
hunderts, dann besonders seit der Renaissance im Abendland aufkam. Die ägyptische
Kunst kennt keine Verkürzungen, sondern nur gerade Aufsichten, sie wählt aus den
Seheindrücken (unbewußt) nur diejenigen, die frei sind von perspektivischen Ver-
wirrungen, sie vollzieht etwas der begrifflichen Auflösung der Anschauung Ent-
sprechendes, läßt Teile aus, läßt aber andrerseits Körperteile im selben Bilde er-
scheinen, die niemals auf einen Blick erfaßt werden, ja Dinge, die stets verborgen
sind; denn nicht der optische Eindruck ist entscheidend, sondern die innere Schau.
Verschiedene Körper werden oft, ohne daß damit ein räumliches Nebeneinander
gemeint wäre, nebeneinander gestellt, rein aus gedanklicher Gesinnung; mehrere
Stufen derselben Handlung werden unbedenklich im selben Bild vereinigt. Wichtige
Personen werden überragend groß herausgehoben, entferntere Körper nicht kleiner
gezeichnet als ebenso große nähere. Auch die Rundplastik folgt denselben Gesichts-
punkten. Sie geht immer von einer Seite aus, daran schließen sich die anderen,
ebenfalls in gerader Aufsicht vorgestellten Hauptflächen, wobei sich alles in ein
rechtwinkeliges Ebenenkreuz einzuordnen hat.

Die griechische Archaik unterliegt im wesentlichen noch denselben Prinzipien;
erst die Griechen des 5. Jahrhunderts vollziehen die große Wendung zur Wieder-
 
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