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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0294
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BESPRECHUNGEN

werden kann, die Möglichkeit einer Auseinandersetzung über Sinn und Wert von
Schillers Lebenswerk und seine Stellung in der Entwicklung unseres Geisteslebens
gegeben ist.

Zwei Grundfragen sind es ja vor allem, mit denen man an jede Gesamtdarstellung
Schillers wird herantreten müssen, da alle Einzeldeutungen im wesentlichen von der
Stellungnahme zu ihnen bestimmt sein werden: Die eine gilt der Einordnung und
Bewertung der verschiedenen Epochen innerhalb von Schillers Entwicklung. Welches
ist, wenn einmal mit dem landläufigen Schema gebrochen wird, das im späteren Schil-
lerschen Drama schlechthin die Vollendung der Ansätze des jungen Schiller und
in dem dazwischenliegenden Jahrzehnt lediglich eine subjektive Schulung Schillers
ohne ebenbürtige eigene Leistungen sehen wollte, der Weg von Schillers innerer Ent-
faltung, wo liegt Gipfel und Krönung dieses Weges? — ein Problem, das sich ver-
dichtet zu der konkreten Fragestellung: was bedeutet im Zusammenhang dieser Ent-
wicklung die Periode von Schillers philosophisch-ästhetischer Arbeit und in welchem
Verhältnis steht sie zu seinem — vorangegangenen und nachfolgenden — dichteri-
schen Schaffen? Und, damit aufs engste verknüpft: wie ordnet sich der Entwicklung
Schillers das Zusammenwirken mit Goethe ein, was ist diese Gemeinschaft für
Schiller geworden? Das andere für die Bewertung von Schillers Lebensleistung und
ihrer weiterwirkenden Geltung entscheidende Moment ist der Ort ihrer Einreihung
in den Verlauf der deutschen und europäischen Geistesgeschichte, wobei gemäß der
Doppelheit dieser Leistung eine doppelte Bestimmung erfordert wird: der Standort
des Schillerschen Dramas und der Schillerschen Balladen in der neueren Dichtung
und die Bedeutung sowohl von Schillers ästhetischen, kunstpädagogischen Anschau-
ungen wie, untrennbar davon, des gemeinsamen Wirkens Goethes und Schillers, inner-
halb der geistigen Strömungen der letzten Jahrhunderte, ja — wenn man Cysarz
folgend den Blickpunkt eines „Jahrtausends", wie er es im ersten Satze seines Buches
ankündigt, einnehmen will —, innerhalb des Ablaufs der gesamten abendländischen
Entwicklung.

Cysarz betitelt den ersten der drei großen Abschnitte, in die er sein Werk ein-
teilt, „Das kosmische Ich" — wobei, da der Begriff „kosmisch" im allgemeinen eine
andere Prägung trägt, klärend hinzugefügt sei, daß er darunter nach seinen eigenen
Worten ein „Menschentum" versteht, „das seinen Halt in einer ungegliederten, un-
mittelbaren und ausdrücklichen Teilhabe am Weltall sucht" —, den zweiten „Der
ästhetische Mensch", den dritten, dem neben den späten Dramen auch die Balladen
zugehören, „Das klassische Werk". Schon diese Bezeichnungen lassen spüren, was
Cysarz dann im Verlauf seiner Darstellung mehrfach unzweideutig ausspricht, daß
bei aller selbständigen Wertung von Schillers ästhetischen Einsichten und trotz des
Versuches, auch sie als gleichberechtigten Ausdruck seines Wesens zu deuten, er sie
doch in Schillers Entwicklung nur als Durchgangspunkt und, wie es der bisher
gangbaren Schiller-Auffassung entspricht, in den späten Dramen und sogar nicht
minder in den Balladen als Schillers eigenste Leistung sieht. Wohl nennt Cysarz die
Ästhetischen Briefe „das Herz des Denkers und Priesters Schiller und eines der
heiligen Bücher der Menschheit" (S. 210), aber er erklärt zugleich am Ende der Be-
trachtung über die philosophischen Schriften: „Erst die Tragödie löst ein, was die
Schönheitslehre verspricht" (S. 240) und bereits anläßlich der „Künstler": „Sein
eigentlicher Weg in den ästhetischen Zustand ist erst der tragische Weg; und das
ist ein Weg ohne Ende" (S. 177). Damit wird der Ästhetiker Schiller doch wieder
nur zum Vorbereiter und Helfer des Dramatikers Schiller, wie denn Cysarz aus-
drücklich verlangt: „stets muß darum wie der Tragiker aus dem Ästhetiker Schiller,
auch der Ästhetiker aus dem Tragiker Schiller verstanden werden" (S. 240). Diese
 
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