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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0295
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BESPRECHUNGEN

281

Forderung, die das kunstpädagogische und das dichterische Werk Schillers nicht als
zwei voneinander unabhängige, nur als verschiedene Ausdrucksformen desselben
Grundwollens zusammenhängende Leistungen betrachtet, sondern das eine nur als
Erläuterung des anderen im Verhältnis von Theorie und Ausübung der Kunst ver-
stehen will, schneidet von vornherein die Möglichkeit ab, daß die Erkenntnis des
Denkers und Menschheitserziehers Schiller Bereiche erschlossen haben könnte, die
ihm als Gestalter, ja, in seinem eigenen menschlichen Sein versagt blieben. Die Ge-
fahr dieses Zirkelschlusses wird besonders sichtbar bei Cysarz' Interpretation des
Schillerschen Gegensatzes gegen Kant, wenn er Schillers eigene Dramen als Kron-
zeugen für die Berechtigung von Kants Lehre anführt: „Durch Schillers Tragödien
wird Kant als Denker endgültig bestätigt; denn sie bezeugen handgreiflich, daß die
Gewißheiten, die Schiller vorerst als Gewißheiten der inneren Erfahrung Kant ent-
gegenhält, auch für ihn selbst nie erreichbare Ziele bleiben" (S. 190). Daß das Ziel,
das Schiller in den ästhetischen Schriften als Leitbild höchsten Menschentums auf-
stellt, „für ihn selbst" nicht erreichbar ist und darum auch in seinen Dichtungen, dem
unwillkürlich-notwendigen Spiegel der menschlichen Artung ihres Schöpfers, keine
reine Verkörperung findet, beweist noch nicht, daß es ein schlechthin unerreichbares
ist. Daß vielmehr Schiller die Möglichkeit seiner lebendigen Verwirklichung in sei-
ner eigenen Zeit bestätigt gefunden hat, nicht in sich selbst, wohl aber in dem lange
vergeblich von fern umworbenen und dann in liebendem Begreifen verehrten Men-
schen und Dichter, dessen gegenwärtige Nähe erst seine Einsichten zur Reife
brachte, das hat er unumwunden in so manchem Brief an Goethe, etwa jenem deu-
tenden vom 23. August 1794 oder dem vom 2. Juli 1796 über „Wilhelm Meister" aus-
gesprochen.

Aber Cysarz wertet, wie die ästhetische Epoche, so erst recht die Freundschaft
mit Goethe — und das ist der Punkt, wo seine Darstellung vielleicht am meisten zum
Widerspruch herausfordert — für Schiller nur als „Gang und Durchgang": „Das
Kapitel Goethe ist das höchstüberschätzte und meistverfälschte der Schillerfor-
schung", so beginnt er das „Der Zweibund" überschriebene Kapitel, das Schillers
Verhältnis zu Goethe würdigt. Daß aber Goethe, was Cysarz betont und was weder
Goethe noch Schiller je zu verschleiern gesucht haben, „sich von Schillers Art und
Kunst durch unumstößliche Gesetze geschieden weiß" auch „in den Tagen der eng-
sten Zusammenarbeit" (S. 43/44), besagt keineswegs, wie Cysarz meint, daß die
Ferne zwischen ihnen „nur überwölbt", „nicht aufgehoben" war. Cysarz widerspricht
mit solcher Argumentation seinen eigenen Ausführungen, die sehr prägnant in der
„gesamtmenschlichen Gesinnung" das Einigende zwischen beiden herausheben, das
ihr Zusammenwirken „zum einen ästhetischen Staat, zur geistigen Jahrhundert-
festung" gemacht habe (S. 266). Und wenn Cysarz die von ihm behauptete Ferne
Goethes gegenüber Schiller, ja, wie er glaubt, eine Unterschätzung Schillers durch
Goethe, mit Goethes angeblicher innerer Kälte bei Schillers Tod belegen will, so ist
dieser Standpunkt angesichts der vorhandenen eindeutigen Dokumente unhaltbar.
Als unmittelbares Zeugnis dafür, was Schillers Tod für Goethe bedeutete, genügt
allein schon der nur wenige Wochen nach dem Ereignis geschriebene Brief an
Zelter: „Ich dachte mich selbst zu verlieren, und verliere nun meinen Freund und
in demselben die Hälfte meines Daseins. Eigentlich sollte ich eine neue Lebensweise
anfangen; aber dazu ist in meinen Jahren auch kein Weg mehr. Ich sehe also
jetzt nur jeden Tag unmittelbar vor mich hin, und tue das Nächste, ohne an eine
weitere Folge zu denken." Und schwerlich ist eine tiefere Ehrung, ein nachdrück-
licheres Vermächtnis über ihre Verbundenheit denkbar, als Goethe es in der von ihm
selbst — zur gleichen Zeit, da er seinen Briefwechsel mit Schiller herausgab —
 
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