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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Dessoir, Max: Stefan George
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0303
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Stefan George

Von
Max Dessoir

Wenn im deutschen Volk eine Umfrage erginge: Wer war Stefan
George?, so würden nicht allzuviele überhaupt zu antworten imstande
sein. Die wenigen anderen jedoch würden einmütig ihn als einen Dichter
bezeichnen. Obwohl hiermit nur ein Teil seines Wesens getroffen wird,
wollen wir uns von dieser Einmütigkeit nicht ausschließen. Die Stelle,
an der die nun folgenden Worte zuerst gesprochen wurden, und die
Zeitschrift, in der sie nunmehr veröffentlicht werden, forderten überdies
jene Einschränkung (die keine Enge bedeuten soll). Sie bedingen aber
noch ein weiteres, nämlich den Versuch zur Sachlichkeit. George wird
von Anhängern jetzt wie einst mit göttlichen Ehren überhäuft, wenn-
gleich seine Warnung auch ihnen gelten könnte:

Hellhaarige schar! wißt daß euer eigner gott
Meist kurz vorm siege meuchlings euch durchbohrt.

Würdige Gegner sind ihm zu Lebzeiten nur in geringer Zahl entgegen-
getreten; nach dem Tode haben sich eingefunden kluge Richter und
schwatzhafte Erzähler, Nutznießer und Ausbeuter, Bewunderer seiner
Kunst und Beanstander seiner Persönlichkeit. Wir trachten, den Dichter
als solchen in den Blick zu bekommen. Nun wissen wir: niemals hat
George einen Roman geschrieben, niemals ein Drama vollendet. Sein
Werk besteht aus Lyrik und Spruchweisheit. So zeigt schon die Auf-
nahme des äußeren Tatbestandes, daß er ein Schaffender von besonderer
Art gewesen sein muß-

Das lyrische Werk Georges enthält manches Gedicht, das durch
Gewaltsamkeiten verdunkelt, und manches, das nach einer starren Norm
gebildet ist. Hiervon soll ein für allemal abgesehen werden. Be-
trachten wir diejenigen Gedichte, die ohne Übertreibung als meister-
lich gepriesen werden können, so finden wir, daß sie sich in Sprache
und Rhythmus unverkennbar unterscheiden von der ausgelaugten Durch-
schnittslyrik der letzten fünfzig Jahre. Man hat sofort den Eindruck
einer neuen Klangmischung und man bemerkt alsbald eine eigentüm-
liche Festigkeit im Gefüge. Das gilt auch von den Liedern, die volks-
mäßig gehalten sind. Selbst unter den späten Weisen sind manche still

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XXIX. 19
 
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