Von Max Jordan.
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lismus und des ästhetischen Gewissenszwanges angelangt. Freilich fußte es auf dem ewigen
Pfeiler der Schönheitslehre, anf der Antike; aber die geistlose Selbstgerechtigkeit, welche
Anspruch erhob, im Besitze des kunstbildnerischen Universalmittels zu seiu, betrog die Hei-
ligen Heiden um ihr bestes Theil. In der Hand der Akademien erging es der antiken
Kunst nicht anders wie der antiken Philosophie im scholastischen Mittelalter. Hatte der
erlauchte Aristoteles geistlosester mönchischer Spitzfindigkeit Handlangerdienste leisten müssen,
so waren die klassischen Hilfsmittel hier zu Quacksalbertränkchen frivoler Geschicklichkeit Her-
abgesuukeu. Ohue Frage, vor dem neuen Hauche deutschen Künstlergeistes, der feit Carstens'
Auftreten die starre Atmosphäre des herkömmlichen Kunsttreibens erschüttert hatte, wäre die
dünkelhafte Tyrannei des damals Mustermäßigen zusammengesunken, hätte ihr nicht doch
eine große und rechtlich erworbene Macht innegewohnt. Kein Geringerer als Goethe war
es, der an dieser Richtung des Kunststndiums festhielt. Er achtete die Geistesgewalt der
Ueberlieferung für viel zu groß, als daß ihn auch der ärgste Mißbrauch irre gemacht
Hätte.
Es hieße von ihr sowohl wie von ihren .Besiegern ungebührlich genug denken, wollte
man der Vorstellung vom Wesen der Zopfkunst, die Kaulbach in seineu armseligen Wand-
malereien an der neuen Münchener Pinakothek in Mode gebracht hat, das Wort reden.
Die vielgeschmähte Kunstthätigkeit des vorigen Jahrhunderts war in der That Erbin der
historischen Entwickelung der vorausgegangenen Zeit; im Besitz von Fertigkeiten, in Herr-
schaft über die Technik wirklich verarbeitend, was bis dahin erprobt und geleistet worden
war. Aber sie vereinigte all die schönen rauschenden Ströme echter Kunstmittel wie leben-
dig quellende Wässer der Sumpf ausnimmt. Das Können, das der Kunst zunächst den
Namen giebt, war in Ueberfluß vorhanden, — man werse nur deu Blick z. B. auf die
zahllosen farbenglühenden Wände, die damals in Kirchen und Palästen prangten, oder auf
die Kupferstiche und alle anderen Weisen der Reproduktion, deren Pflege auf unerreichter
Höhe stand, — aber in dem strotzenden Leib war die Seele erstorben, im rein vegetativen
Leben die persönliche Arbeit, das bewußte Streben erstickt. — Man hat den Untergang des
Zopfes mit dem des Römerreichs verglichen, das anch der germanischen Jugend erlag. Um
die modernen Sieger hätte es noch besser gestanden, als es in der That der Fall war,
ihrer Größe wäre nachhaltigerer Boden in der Nation erwachsen, wenn sich jene Analogie
soweit erstreckte, daß auch vou ihueu zu sagen wäre, sie hätten die edlen Schätze des
Gegners als Beute davougetragen, sodaß diese gleich dem Juhalt der gestürzten alten
Welt zu würdiger Sühue seines Geschickes den Ueberwindern sich angeeignet, damit sie zu
höheren Stufen historischen Daseins desto leichter emporsteigen konnten.
Aber so war es nicht. Der schöne Kampf gegen die verrottete Kunstzucht galt der
Rettung der künstlerischen Persönlichkeit, dem Rechte des Individuellen; ihm allein auch
wurde der Gewinn. In der nämlichen Stunde ist die moderne Zeit fast auf allen anderen
Gebieten großjährig geworden. Die Jugend des Jahrhunderts, das Göthe, Schiller,
Lessing, Winckelmann eröffnet, ward durch eine Katastrophe, für welche die französische
Revolution nur dröhnendes Symbol ist, mannesreif. Doch unter den Eigenschaften, die der
Schritt über diese Schwelle tilgt, ist eine, welche den Zug der Züge im jugendlichen Antlitz
bildet, der Typus unbewußter, naturgewordener innrer Uebereinstimmung. Unsere Kund-
gebungen Haben seitdem keinen gemeinsamen Stil mehr. Es fehlt der geistigen Sprache
der Dialekt, der Lebensübung das, was man den Familienbranch nennen kann, der Kunst
-die Harmonie. In allen Stücken, wo ehedem der Instinkt handelte, der so und nicht an-
ders konnte, find wir Rechenschaft zu geben und zu verlangen gewohnt. Mit dem Bewußt-
sein, daß es so ist, steigt die Sehnsucht nach einem verlorenen Paradiese Heranf. Die deut-
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lismus und des ästhetischen Gewissenszwanges angelangt. Freilich fußte es auf dem ewigen
Pfeiler der Schönheitslehre, anf der Antike; aber die geistlose Selbstgerechtigkeit, welche
Anspruch erhob, im Besitze des kunstbildnerischen Universalmittels zu seiu, betrog die Hei-
ligen Heiden um ihr bestes Theil. In der Hand der Akademien erging es der antiken
Kunst nicht anders wie der antiken Philosophie im scholastischen Mittelalter. Hatte der
erlauchte Aristoteles geistlosester mönchischer Spitzfindigkeit Handlangerdienste leisten müssen,
so waren die klassischen Hilfsmittel hier zu Quacksalbertränkchen frivoler Geschicklichkeit Her-
abgesuukeu. Ohue Frage, vor dem neuen Hauche deutschen Künstlergeistes, der feit Carstens'
Auftreten die starre Atmosphäre des herkömmlichen Kunsttreibens erschüttert hatte, wäre die
dünkelhafte Tyrannei des damals Mustermäßigen zusammengesunken, hätte ihr nicht doch
eine große und rechtlich erworbene Macht innegewohnt. Kein Geringerer als Goethe war
es, der an dieser Richtung des Kunststndiums festhielt. Er achtete die Geistesgewalt der
Ueberlieferung für viel zu groß, als daß ihn auch der ärgste Mißbrauch irre gemacht
Hätte.
Es hieße von ihr sowohl wie von ihren .Besiegern ungebührlich genug denken, wollte
man der Vorstellung vom Wesen der Zopfkunst, die Kaulbach in seineu armseligen Wand-
malereien an der neuen Münchener Pinakothek in Mode gebracht hat, das Wort reden.
Die vielgeschmähte Kunstthätigkeit des vorigen Jahrhunderts war in der That Erbin der
historischen Entwickelung der vorausgegangenen Zeit; im Besitz von Fertigkeiten, in Herr-
schaft über die Technik wirklich verarbeitend, was bis dahin erprobt und geleistet worden
war. Aber sie vereinigte all die schönen rauschenden Ströme echter Kunstmittel wie leben-
dig quellende Wässer der Sumpf ausnimmt. Das Können, das der Kunst zunächst den
Namen giebt, war in Ueberfluß vorhanden, — man werse nur deu Blick z. B. auf die
zahllosen farbenglühenden Wände, die damals in Kirchen und Palästen prangten, oder auf
die Kupferstiche und alle anderen Weisen der Reproduktion, deren Pflege auf unerreichter
Höhe stand, — aber in dem strotzenden Leib war die Seele erstorben, im rein vegetativen
Leben die persönliche Arbeit, das bewußte Streben erstickt. — Man hat den Untergang des
Zopfes mit dem des Römerreichs verglichen, das anch der germanischen Jugend erlag. Um
die modernen Sieger hätte es noch besser gestanden, als es in der That der Fall war,
ihrer Größe wäre nachhaltigerer Boden in der Nation erwachsen, wenn sich jene Analogie
soweit erstreckte, daß auch vou ihueu zu sagen wäre, sie hätten die edlen Schätze des
Gegners als Beute davougetragen, sodaß diese gleich dem Juhalt der gestürzten alten
Welt zu würdiger Sühue seines Geschickes den Ueberwindern sich angeeignet, damit sie zu
höheren Stufen historischen Daseins desto leichter emporsteigen konnten.
Aber so war es nicht. Der schöne Kampf gegen die verrottete Kunstzucht galt der
Rettung der künstlerischen Persönlichkeit, dem Rechte des Individuellen; ihm allein auch
wurde der Gewinn. In der nämlichen Stunde ist die moderne Zeit fast auf allen anderen
Gebieten großjährig geworden. Die Jugend des Jahrhunderts, das Göthe, Schiller,
Lessing, Winckelmann eröffnet, ward durch eine Katastrophe, für welche die französische
Revolution nur dröhnendes Symbol ist, mannesreif. Doch unter den Eigenschaften, die der
Schritt über diese Schwelle tilgt, ist eine, welche den Zug der Züge im jugendlichen Antlitz
bildet, der Typus unbewußter, naturgewordener innrer Uebereinstimmung. Unsere Kund-
gebungen Haben seitdem keinen gemeinsamen Stil mehr. Es fehlt der geistigen Sprache
der Dialekt, der Lebensübung das, was man den Familienbranch nennen kann, der Kunst
-die Harmonie. In allen Stücken, wo ehedem der Instinkt handelte, der so und nicht an-
ders konnte, find wir Rechenschaft zu geben und zu verlangen gewohnt. Mit dem Bewußt-
sein, daß es so ist, steigt die Sehnsucht nach einem verlorenen Paradiese Heranf. Die deut-