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Zeitschrift für bildende Kunst — 2.1867

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Meyer, Julius: Die französische Malerei seit 1848: mit Berücksichtigung des Salons von 1866[1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.71569#0037
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Die französische Malerei seit t848.

behauptete fast ausschließlich die breite Masse des Genrebildes und der Landschaft, aus
der doch wieder Jeder mit seiner Eigenart sich Herausznheben versucht. Es ging in der
Malerei ähnlich wie im Staatsleben. Auch hier die maunigfaltigsten Bestrebungen sich
krenzend und verwirrend: neben den reaktionären Ueberresten der Nltramontanen und Legi-
timisten die siegestrunkenen, das Staatsschiff blind hin- und Herwerfenden Republikaner,
neben den schwachen Ansätzen besonnener liberaler Bewegung die ausschweifenden Umtriebe der
Social-Demokraten. Keine Partei aber entwickelte eine geschlossene, durchgreifende Macht,
alle trieb vielmehr die erregte Zeit im Wechsel ihrer ungewissen Strömungen ziellos durch-
einander. Aus dieser tobeuden Menge selber konnte keine Kraft erstehen, welche die gegen-
einander stürmenden Elemente wieder gefesselt, die hochgehende See geebnet hätte. Als daher
Napoleon mit straff angezogenem Zügel dem Lande die Ruhe wiedergab und alle Vortheile
einer starken centralisirenden Staatsform verschaffte, als er so dem Volke die Freiheit ab-
nahm, die es schon als eine Last empfand nnd nicht ungern auf die Schultern eines Ein-
zigen von sich abgewälzt sah: da vollzog er nur eine geschichtliche Aufgabe, die durch deu
Laus der Dinge selber gegeben war. Allein in der Kunst läßt sich nicht ebenso durch eine
stramme Hand Einheit und Kraft wieder Herstellen. In ihr muß die Bewegung von Innen
kommen, aus der eigenen selbstthätigen Kraft der Nation. Nur derjeuige Staat fördert
wahrhaft die Kunst, der die Selbstentwickelung des Volkes begünstigt nnd neben der Gesit-
tung zugleich seinen staatsbürgerlichen Sinn zur Reife bringt.
Daher ließ sich auch unter dem Kaiserreich ein Ausschwnng der Malerei nicht erwar-
ten. Vorab nicht der monumentalen, die ja nichts Anderes ist, ali sder Ausdruck großer,
das ganze Volksleben durchziehender Ideen, die Versinnlichnng der die Individuen mit dem
Gefühl der Gefammtheit durchdringenden Mächte und Ziele, und auf der doch als ihrem
festen Boden jede gefnnde Kunstentwickelnng ruhen soll. Wohl läßt es anch die kaiserliche
Negiernng an der malerischen Ausstattung großer architektonischer Räume nicht fehlen.
Allein ihr ist es dabei, wie wir noch sehen werden, nur zu thun um die Fortführung eines
Herkömmlichen Gebrauches — so bei der Ausmalung der Kirchen — oder nm eine dekora-
tive Belebung der Palastwände von gefälligem Charakter, wenn nicht etwa in einer Reihe
von pomphaften Gemälden das Kaiserreich selber verherrlicht wird.
Jndeß, die Regierung hat sich jene rückgängige Bewegung der Kunst nicht verborgen
nnd sinnt in anderer Weise ans gründliche Abhülfe. Dem Kaiser selber zwar ist auch das
kein Geheimniß, daß es schlechterdings in seiner Macht nicht liegt, den Bann zu lösen, der
nun die Flügel der Kunst lähmt; doch sie zu neuem Anlauf anzuregen, mußte man wenig-
stens versuchen. Kein Mittel schien dazu besser, als eine Reform des Kunftnnter-
richts, eine solche zumal, die ihr alle beengenden Fesseln abnehmen sollte. Die Einrich-
tnug der Pariser Kunstschule, seit 1819 unverändert, litt natürlich an allen jenen Mängeln
des akademischen Zopfs, die nirgends ausbleiben, wo man der Kunst durch bewußte Bil-
dung, durch ein System von Regeln und Anleitungen aufzuhelsen sncht. Zudem war sie
von Anbeginn der Sitz jenes klassischen Formalismus gewesen, gegen dessen bequem zu-
richtende Weise der Franzose so gern die Arbeit der eigenen Individualität daran giebt.
Auch ließ das fest eingewurzelte System des Unterrichts keine Neuerung der Romantiker
und Realisten, auch ihre Fortschritte nicht, in die Schule eiudringen. Dazu kam der Wei-
tere Uebelstaud, daß es über letztere hinaus in die römische Akademie fortwirkte. Die
Professoren bildeten das Schiedsgericht, welches den Preis des römischen Aufenthaltes auf
Staatskosten („le Arnnck prix cis Rome") zu vergeben hatte, und verwarfen natürlich
jede Arbeit, welche irgendwie die klassischen Regeln verletzte. Die jungen Preisträger aber,
in dieses bequeme Geleise einmal eingefahren, verfolgten dessen breite Spuren auch in den
 
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